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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Mitglied des Kirchen- und Schulvorstands und werde sofort hinüber zum Pfarrer gehen, um ihn zur Rede zu stellen! Komm, Rosalia!“
    Sie ging bis zum Pfarrhause mit, welches an den Gottesacker grenzte. Dort wartete sie. Der Vater ging hinein. Der Pfarrer war daheim. Er hörte ruhig an, was der Musterwirt vorbrachte. Dann legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte:
    „Herr Frommhold Uhlig, Sie werden meine Antwort nicht hier hören, sondern an dem Ort, an dem es sich geziemt. Wenn Sie dann noch wünschen, daß der Verstorbene ohne Geläut und ohne Segen hinter in die letzte Ecke begraben werden soll, dann mag es geschehen. Kommen Sie mit mir!“
    „Wohin?“
    „Das werden Sie sehen!“
    Er führte ihn zur Leichenhalle und trat dort mit ihm ein. Fräulein Rosalia ging hinterher und blieb dann draußen stehen. Sie hörte die laute, mahnende Stimme des Geistlichen, verstand aber die Worte nicht. Zuweilen sprach auch ihr Vater, aber nur kurz und unterdrückt. Das dauerte wohl eine halbe Stunde lang. Dann kam der Vater allein heraus. Der Pfarrer war drin geblieben, um zu beten. Fräulein Rosalia erschrak. Der Musterwirt war ganz verstört. Er schien sie gar nicht zu sehen.
    „Hast du den Neubertbauer liegen sehen?“ fragte sie.
    „Ja, und er mich auch!“ antwortete er. „Er hat die Augen offen! Diese Augen, diese Augen! Er hat nur immer mich, mich, mich angesehen! Den Pastor nicht! Was will er von mir? Ich habe ihm alles versprochen und erlaubt. Ich gehe sogar mit zu Grabe. Dann macht er mir vielleicht wieder andere Augen. Oh, diese Augen, Augen, Augen! Die sind wie die Bohrer, wie die Bohrer! Ich fühle, wie sie wühlen, wühlen, wühlen, immer tiefer, immer tiefer! Ich ergreife die Flucht, die Flucht, die Flucht!“
    Er rannte fort. Sie vermochte nicht, ihn aufzuhalten. Niemand hatte jemals gesehen, daß Herr Frömmelt solche Schritte machen konnte. Dabei sah er sich von Zeit zu Zeit um, als ob er jemand hinter sich herrennen höre. Als er nach Hause kam, lange noch vor seiner Tochter, eilte er nach seiner Stube, riß einen Kasten auf, nahm das Messer heraus, mit welchem sich der Neubertbauer erstochen hatte, schüttelte sich wie tief in sich hinein und sagte:
    „Du, dich muß ich vergraben! Du mußt weg! Sonst kannst du mir gefährlich werden. Das weiß ich jetzt; ich fühle es!“
    Er ging in den Busch hinaus, der ihm gehörte. Da hatte er einen Klafter Holz schlagen und einpfählen lassen. Er steckte das Messer unter die Scheite und kehrte dann zurück, einstweilen beruhigt. Aber er hatte das Dorf noch nicht wieder erreicht, so sah er den Erstochenen schon wieder vor sich liegen.
    „Diese Augen, diese Augen!“ klagte er wieder. „Wie gut, daß er morgen unter die Erde kommt! Ich darf ihn nicht mehr zu sehen bekommen, sonst fängt er wohl gar noch mit mir zu reden an! Und dann müßte ich alles tun, was er will, alles, alles, alles! Das fühle ich! Ich weiß noch jedes Wort, jedes, was er gesprochen hat, ehe er zum Messer griff, und als er es sich in das Herz gestoßen hatte, was sagte er da? ‚Musterwirt, so stirbst auch du – genau – mit diesem Messer – ‘ Brrrrr! Es schüttelt mich!“
    „Wer? Wer schüttelt mich?“ fragte er, indem er stehenblieb und sich ängstlich umschaute. „Ist er etwa da? Nein! Aber er kann kommen, denn der Pastor sagte: ‚Die Toten stehen auf und rächen sich!‘ Die Toten –! Oh, Musteranton! Bist du tot? Wirklich, wirklich? Brrrrr! Ich muß machen, daß ich zu Leuten komme. Die müssen mich zusammenhalten, daß ich nicht aus mir herausfahre! Denn mir ist, als wolle jemand in mich hinein, der nicht hineingehört, wenn ich der bleiben soll, der ich bin!“
    Er schüttelte sich abermals, dann förderte er den übrigen Weg, um so schnell wie möglich heimzukommen. Da traf er mit dem Herrn Lehrer zusammen, der bei seiner Tochter stand und, wie es schien, von ihr ausgescholten wurde.
    „Denke dir“, sagte sie, „er ist gestern am ganzen Nachmittage drüben bei dem Herzle gewesen! Hier war er nicht, und ich habe ihn auch nicht hinübergehen sehen; aber jetzt hat er es mir eingestanden. Nun soll er mit mir nach der Stadt fahren, wohin ich wegen des seidenen Kleides muß, und das will er nicht. Er sagt, er habe keine Zeit dazu, aber zum Kaffeetrinken beim Herzle hat er Zeit!“
    „Kommen Sie mit herauf in meine Stube, Herr Lehrer!“ sagte der Wirt.
    Über Bernsteins Gesicht ging ein stilles Lächeln. Er folgte ihm.
    „Jetzt wird er von dem Vater abgekanzelt,

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