73 - Der Dukatenhof
nun werden soll.“
„Jetzt will ich ins Dorf zum Paul, und dann kehr' ich freiwillig ins Zuchthaus zurück.“
Er nahm sie bei der Hand und zog sie vorwärts. Sie hatten sich so viel zu fragen und zu sagen, daß sie wenig oder gar nicht an die gegenwärtige Gefahr dachten und den Schritt erst anhielten, als sie den Rand des Waldes erreichten.
„Hier muß geschieden sein, Minna“, sagte er. „Das Dorf ist ganz gewiß mit Soldaten und Polizei umstellt. Am besten ist der Fährmannshof besetzt und auch der deinige, weil sie meinen, daß mich der Paul hinziehen werde! Ich würde mich freiwillig gleich gefangen geben, wenn ich wüßte, daß sie mich ihn erst sehen lassen. Aber das tun sie nicht, und so werde ich mich in den Lindenhof schleichen.“
„Eduard, tu's lieber nicht. Sie werden dich erschießen!“
„Mich treffen sie nicht! Und wenn auch, um den Zuchthausfährmann wird kein Auge mehr rot!“
„Glaub's nicht, glaub's nicht; du tust sonst eine Sünde!“ rief sie aus. „Deine Mutter hat so um dich geweint, daß sie bald nichts mehr sehen kann, und ich – ich – ich!“
„Nun, du? Sag's Minna!“
„Ich könnte mich gar nie trösten!“
„Ist's wahr?“
„Ja. Trag' deine Strafe, Eduard, wenn du auch unschuldig bist! Und nachher kommst du zu mir. Wenn alle dich verlassen, in meinem Haus bist du stets willkommen!“
Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Es wurde kein Wort gesprochen; der Augenblick war zu selig und zu heilig für die gewöhnliche Rede. Endlich schob er langsam ihr Köpfchen von sich ab.
„Geh' jetzt, Minna, geh'; ich komm' bald nach“, sagte er.
„Sie schießen!“ erwiderte sie angstvoll.
„Nein, denn sie werden mich gar nicht sehen. Ich kenne den Hof und weiß die Schliche, die ich zu brauchen habe. Wo liegt der Paul?“
„In der Stube bei meiner Kammer. Du wirst's am Licht erkennen.“
„So mache den Vorhang herab, sobald im Haus der Weg frei ist. Das übrige ist meine Sache! Nun geh'!“
Sie ließ ihn mit schwerem Herzen allein, aber sie mußte ihm gehorchen. Er wartete, bis er ihre Schritte nicht mehr hörte, und näherte sich dann mit der angestrengtesten Vorsicht dem Dorf.
Die Wege waren besetzt, das merkte er schon nach kurzer Zeit; er wendete sich daher querfeldein und erreichte auch wirklich unbemerkt den zum Lindenhof gehörigen Garten. Jenseits des Zauns stand ein kleines Häuschen; die Eltern des Reiter-Kurts hatten es vor ungefähr Jahresfrist gekauft, ohne daß man so recht gewußt hätte, woher ihnen das Geld gekommen war. Sie befanden sich heute mit auf dem Fährmannshof, und darum war kein Licht zu bemerken, obgleich die nach hinten gehenden kleinen Fenster keine Läden hatten.
Der Flüchtling mußte diesseits des Zauns an ihm vorüber. Er legte sich zur Erde und kroch langsam vorwärts. Da vernahm er von der Straße her eilige, aber leise Schritte; ein Schlüssel wurde in die Haustür gesteckt, und nach kaum einer Minute war die enge Wohnstube von einer Lampe notdürftig erhellt, so daß man sie vom Garten aus genügend überblicken konnte.
Der Reiter-Kurt war eingetreten. Er hatte, um sich unkenntlich zu machen, die Uniform mit Zivilkleidern vertauscht und schien große Eile zu haben. Ohne das unverhüllte Fenster zu beobachten, trat er zu der alten Wanduhr, hob eines ihrer riesigen Gewichte aus und kehrte mit demselben zum Tisch zurück. Es bestand aus einem hohlen Blechzylinder und war mit Blei- und Eisenstücken angefüllt. Er schüttete es vor der Lampe aus; ein kleines Päckchen, welches sich ganz unten befunden hatte, kam zum Vorschein; er wand den Faden ab und wickelte es auf.
Der Zaun war von dem Häuschen kaum vier Fuß entfernt; der Zwischenraum wurde nur zur Anhäufung des für den Winter eingesammelten Brennholzes benutzt. Fährmann mußte wissen, welche Heimlichkeit der Bräutigam seiner ehemaligen Frau so allein und eilig aus dem Hochzeitshaus fortgetrieben hatte, und stand schon im Begriff, sich über den Zaun hinüberzubeugen, obgleich er sich dadurch dem verräterischen Lichtschein preisgeben mußte, als er überrascht wieder zurückwich. Er hatte gesehen, daß sich hinter dem Reiter-Kurt die Tür bewegte. Sie wurde langsam aufgezogen, und in der Öffnung erschien eine glänzende Uniform.
Der Obergendarm war's. Vom Lindenhof zurückkehrend, hatte er einige Minuten rekognoszierend in der Nähe gestanden und den Mann bemerkt, der so behend und vorsichtig hinter dem Dorf heraufgekommen war. Verdacht schöpfend, folgte
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