73 - Der Dukatenhof
Rückweg antrat. Ein großer Teil desselben führte durch den Wald; doch fürchtete sie sich nicht, da sie ein gutes Mittel wußte, die Angst zu vertreiben; sie sang nach dem Takt ihrer Schritte halblaut vor sich hin; das fesselt die Phantasie und läßt sie auf nächtliche Täuschungen weniger achten. Ihre Stimme war als eine der besten im Ort bekannt, und sie hatte mit dem Vater Pauls in früherer Zeit gar manche schöne Kirchenarie vom Chor herab gesungen. Jetzt fiel ihr sein Lieblingslied ein; sie summte es und dachte dabei, wie schön es sein würde, wenn die alten Tage wiederkehren könnten, in denen er die Frau noch nicht lieb hatte, die ihn nur wegen seiner blanken Knöpfe nahm und dann, als er den Militärrock auszog, nicht mehr leiden konnte.
Plötzlich blieb sie stehen. Es war ihr, als hätte jemand ihren Namen ausgesprochen, gerade so, wie der, an den sie dachte, der sich oft hinter den Zaun oder in den Busch gesteckt und sie mit halber Stimme gerufen hatte, um sie zu überraschen.
„Minna!“
Jetzt hörte sie das Wort deutlich. Es befand sich also wirklich jemand hinter den Sträuchern, und es wurde ihr plötzlich so bange, daß sie fliehen wollte.
„Bleib' stehen, Minna, und sag' bist du es, oder bist du es nicht!“ ertönte es weiter.
„Guter Heiland, das klingt ja gerade wie – ja, ich bin's! Wer ist denn da?“
„Erschrick nicht, Minna; der Eduard ist's!“ antwortete es, indem der Sprecher näher trat.
„Bleib' stehen; ich glaub' es nicht; es ist nicht möglich!“ antwortete sie.
„Und doch ist's möglich; hör' mich nur an! Ich bin aus der Gefangenschaft entsprungen! Wißt ihr's noch nicht im Dorf?“
Er trat jetzt hinter dem Gesträuch hervor, so daß sie ihn erkannte. Sie faltete vor Schreck die Hände ineinander und rief mit vorsichtig gedämpfter Stimme:
„Kein Sterbenswort habe ich gewußt. Herr Gott, Eduard, was hast du getan?“
„Ich habe nicht anders gekonnt! Sie haben mir den Paul erschossen; nun da bin ich fort, um ihn noch einmal zu sehen.“
„Erschossen? Das ist ja gar nicht wahr! Die Kugel hat ihm nur die Haut berührt und ein paar Haare mitgenommen.“
„Ist's wahr, Minna? Ist's gewiß auch wahr, was du mir sagst?“ fragte er mit vor Freude lauter Stimme.
„Freilich ist's wahr; ich werde dir doch keine Lüge sagen! Schau hier; die Salbe, die würde ich doch nicht für ihn holen, wenn er zu Tode getroffen wäre!“
„Für ihn bist du fort gewesen, Minna, für mein Kind? Sage, wo ist er zu finden? Ich muß ihn sehen!“
„Bei mir im Lindenhof. Die Mutter sitzt bei ihm und sorgt für seine Pflege, bis ich zurückgekehrt bin.“
„Was meinst du für eine Mutter? Du hast ja gar keine mehr!“
„Die deinige. Deine Frau hat sie aus dem Haus gejagt; drum wohnt sie nun bei mir.“
Er ergriff ihre Hände und drückte sie an seine Brust.
„Du gute, liebe Seele, wie soll ich es dir danken! Und den Paul hast du auch zu dir genommen?“
„Seit heute nur erst; aber ich gebe ihn nimmer wieder her, bis du selber ihn verlangst.“
„So weiß ich ihn in guten Händen! Lindenbäuerin, ich habe dich gar zu gern gehabt, aber ich wollte mich nicht an dich getrauen, weil ich zu arm gewesen bin. Da ist die andere gekommen und hat sich mit Fleiß mir an den Hals geworfen; sie ist schön, und ich habe geglaubt, daß ich sie lieben kann. Oh, wärest du an ihrer Stelle gewesen!“
„So hast du sie nicht mehr lieb, Eduard?“
„Schon längst nicht mehr; sie ist auch schuld, daß ich im Zuchthaus bin; denn ohne ihr Zusprechen hätte ich dem Reiter-Kurt nicht das Geld geborgt, worauf man meine Schuld begründet. Minna, du bist so gut, so seelengut, tue mir nun auch die Liebe und glaube, daß ich unschuldig bin!“
„Ich glaub's“, antwortete sie einfach. „Aber wie ist's nur zugegangen, daß du verurteilt bist?“
„Das weiß ich auch nicht! Ich habe dem Kurt fünfzig Taler geliehen von meinem eigenen Geld, und einige Tage darauf ist der Brigadier gekommen mit dem Direktor von der Gesellschaft, um die Kasse zu untersuchen. Da haben achthundert Taler gefehlt, die im Buch zu wenig eingetragen sind, und das Geld, welches Kurt bekommen hat, ist gerade von dem gewesen, welches fehlt. Wie das zugegangen ist, das kann ich nicht begreifen! Ich darf mich auch gar nicht hineindenken, sonst geht mir der Verstand verloren! Ach, Minna, ich wollte, ich wär' gleich tot!“
„Sprich nicht so, Eduard. Der liebe Gott wird's schon noch an den Tag ziehen! Aber sage, was jetzt
Weitere Kostenlose Bücher