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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Köpfle-Franz
    Die steile Bergstraße hinauf schob sich mit langsamen, schildkrötenartigen Bewegungen eine so eigentümliche Figur, daß ein Unbekannter sie von weitem wohl kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte. In der Nähe aber erkannte man die seltsame Gestalt als einen Mann, welcher sich mühsam mit den Händen fortschieben mußte, weil ihm die Beine gänzlich fehlten.
    Der mit einer alten, vielfach ausgebesserten Jacke bekleidete Körper war durch Riemen in einem aus starkem Holz gefertigten Rollkasten befestigt; den nach vorn tief niedergebeugten Kopf bedeckte ein ungewöhnlich breitkrempiger Filz, dessen ursprüngliche Form und Farbe wohl schon seit Jahren in Sturm und Regen verlorenging; über dem Rücken hing ein umfangreicher, schmutziger Leinwandsack, jedenfalls bestimmt zur Aufnahme von allerhand Geschenken, denn das ganze Äußere des Unglücklichen ließ vermuten, daß er zu denjenigen Beklagenswerten gehöre, welche mit der Befriedigung ihrer Bedürfnisse lediglich auf die Mildtätigkeit ihrer Nebenmenschen angewiesen sind. Und diese Mildtätigkeit schien sich in dem vorliegenden Fall als fruchtbar erwiesen zu haben; der Sack war trotz seiner Größe wohlgefüllt, und seine Schwere veranlaßte den Träger, öfter auszuruhen, als es trotz seiner Gebrechlichkeit sonst wohl der Fall gewesen wäre. Nach langer Anstrengung endlich oben auf der Höhe angekommen, hielt er tief atmend still und ließ den Blick hinab in das jenseitige Tal gleiten, in welchem sich eines jener armen Gebirgsdörfer hinzog, deren Bewohner meist nur durch die schwachen Fäden einer wenig lohnenden Industrie mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Die Abgeschlossenheit ihrer geographischen Lage äußert einen unleugbaren Einfluß auf alle ihre äußeren und inneren Verhältnisse und erhält den Charakteren eine Naturwüchsigkeit, welche unter der dichter gesäten Bevölkerung des platten Landes sehr bald verlorengeht.
    Vor ihm, da die Straße sich wieder abwärts neigte, stand ein ziemlich neues, zweistöckiges Gebäude, über dessen Eingangstür in goldenen Lettern die Inschrift ‚Zur Bergschenke‘ erglänzte. Vor dem Haus hielt eine leichte Kalesche, und aus dem Innern desselben tönte ein mehrstimmiges, schallendes Gelächter durch die geöffneten Fenster.
    Der Ermüdete schien die Stimmen zu kennen; er erhob bei ihrem Klange lauschend den Kopf, und nun waren seine bisher unter der breiten Kopfbedeckung verborgenen Züge zu erkennen – Züge, wie man sie unter dem alten Hut gar nicht erwartet hätte, so kontrastierend mit seiner übrigen Erscheinung, so intelligent, wäre man fast zu sagen versucht, wenn nicht ein undefinierbares Etwas in dem Gesicht, ein eigentümliches, gebrochenes Licht des großen, dunklen Auges dieser Bezeichnung widersprochen hätte.
    „Aha, der Baron und der Zettelkramer! Ganz gewiß wollen die hinunter zum –“ Er drängte den Namen, welchen auszusprechen er schon im Begriff gestanden hatte, wieder zurück. Der unterbrochene Gedankengang hatte schlummernde Geister in ihm erweckt; sein Auge loderte plötzlich in wildem Feuer, seine Hände erhoben wie drohend die Stemmhölzer, mit deren Hilfe er sich fortgeschoben hatte, und jenes unbestimmbare Etwas zuckte jetzt gehässig über das vorhin so ruhige und unbewegte Angesicht. „Nur zu, nur zu, nur immer zu! Ihr seid zwar Spitzbuben, das weiß ich; ihr vernichtet die Güter, saugt die Bauern aus und bringt ehrliche Leute mit euren Zetteln um Habe und Eigentum, arbeitet mir aber in die Hände, und darum habe ich alleweil Freude, wenn ich euch zu sehen bekomme.“
    Er rollte sich die kurze Strecke bis zur Schenke weiter. Bei dem Fuhrwerk angekommen, hielt er überrascht an. „Was?! Das ist ja dem – na, dem sein Brauner, der ihm hundertzwanzig Dukaten bar gekostet hat! Wie kommt der Gaul zum Baron? Da hat es wieder mal eine Wette gegeben oder ein kleines Spielchen bei verschloss'ner Tür. Nur zu, nur immer zu, denn so ist's mir grad recht! Ihr würgt ihn langsam ab, und ich geb' ihm den Gnadenstoß. Ich habe noch niemandem was zuleid getan, aber für den gibt's keine Gnade und kein Erbarmen; für den gibt's auch kein Mitleid und keine Barmherzigkeit, denn er ist mein Teufel gewesen, so lange und so weit ich zurückdenken kann. Jetzt werde ich hineinfahren zu den beiden. Ich will mal sehen, wie sie mich wieder verschimpfieren werden!“
    Er schob sich in den Flur des Hauses, und von da durch die glücklicherweise nur angelehnte Tür in die

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