73 - Der Dukatenhof
Enkeleyen, dieweylen die Bäuerin in der Küchen schanzt. Und weyl so allermassen viele Bilder gehn von deme Hoff hinauß ins weitte Land, derohalben ist er bey Denen, so ihn kennen, nicht mehr Dukkatenhoff, sondern Köpflehoff geheissen.“
Vergeltung
Auf der hoch im Gebirge gelegenen Poststation wurde der aus der Kreishauptstadt einen Tag um den anderen hin- und hergehende Eilwagen erwartet. Das Anlangen desselben war hier noch ein Ereignis, dem einige Bewohner des Ortes, auf der Poststation hin- und herschlendernd, mit Neugier entgegenzusehen pflegten.
So auch heute, wo indes das Interesse der anwesenden Gebirgsbewohner noch einen zweiten Gegenstand hier zu beobachten Anlaß fand. Ihre Aufmerksamkeit war geteilt zwischen dem ein wenig gesuchten geschäftigen Treiben der beiden meist so müßigen Postbeamten und einem leichten Wagen, welcher vor dem Posthaus hielt.
Ein derber, pausbäckiger Knecht stand vorn bei den mutigen Braunen, denen das geduldige Harren schwerzuwerden schien, und am offenen Schlag lehnte eine Gestalt, welche die Aufmerksamkeit jedes Vorübergehenden auf sich ziehen mußte.
Sie war von wahrhaft riesigen Proportionen, die eine außergewöhnliche Körperstärke bekundeten. Der Mann ragte, wie einst Saul, um eines Kopfes Länge über alles Volk empor; seine breiten Schultern, nur von einer kurzen Tuchjacke bekleidet, der starke Nacken, welcher unverhüllt aus dem zurückgeschlagenen Hemdenkragen hervorsah, die hochgewölbte Brust, die gewaltigen Arme, welche die ganze Ärmelweite ausfüllten, die kräftigen Schenkel, von einer engen Lederhose umschlossen, die sich in die weit heraufgezogenen Aufschlagstiefel verlor, bildeten eine beredte Warnung, mit dem Besitzer dieser Vorzüge nicht in eine feindselige Berührung zu kommen. Doch wurde diese Warnung bedeutend abgeschwächt durch einen Umstand, welcher zu der Furcht das Mitleid gesellen mußte: der Mann war blind. Zwei große, glanzlose Augen blickten starr unter den buschigen Brauen hervor; die ursprünglich weiße Hornhaut zeigte eine dunkle, körnige Färbung und auch über die übrigen Gesichtsteile zog sich ein eigentümliches Blauschwarz, welches ihm ein beinahe schreckliches Aussehen verlieh.
Einer der beiden Postbeamten war unter den Eingang getreten.
„Wer ist der Herkules dort?“ fragten die Dastehenden.
„Kennt ihr ihn nicht?“ lautete seine Antwort. „Aber gehört habt ihr von ihm! Es ist der Goliath aus Rothenwalde.“
„Ja, der Bachbauer, den sie den Goliath heißen, weil ihn kein Mensch zu überwinden vermag. Der Waldschwarze hat ihm das Augenlicht hinweggeschossen.“
Der Frager warf einen teilnehmenden Blick auf den Riesen und eilte dann hinweg. Das Posthorn schallte von fern, den nahenden Wagen ankündigend. Derselbe bog um die Ecke der Straße und hielt nach wenigen Augenblicken vor der Station. Der Bachbauer blieb am Wagen gelehnt, aber trotz der Verunstaltung seiner Züge konnte man in ihnen die Ungeduld erkennen, mit welcher er auf die umwogende Geschäftigkeit horchte.
„Kommt er noch nicht, Baldrian?“ fragte er den Knecht.
„Habe noch nichts von ihm gesehen. Ich kenne ihn doch auch gar nicht“, antwortete dieser.
„Wirst ihn schon gleich kennen: Krauskopf, rote Backen, Samtrock und lackierte Stulpenstiefel, rot und weiß Verbindungsband mit goldner Klunker auf der Weste und die grüne Studentenmütze hoch droben im Pfiff.“
„Ja, dort steht einer, der ist so lang und breit wie Ihr; Krauskopf und Stulpenstiefel, das ist richtig, hat er auch, aber Rock, Mütze, Band und Klunker, das wird nicht passen. Jetzt kommt er gerade auf uns herbei!“
Der junge Mann, welchen Baldrian meinte, war aus dem Postwagen gestiegen und hatte sich suchend auf dem Platz umgesehen. Als er kein bekanntes Gesicht erblickte, schritt er von dem Ausgang fort und gewahrte das Geschirr, bei welchem die beiden standen. Einen Moment lang verschärfte er seinen Blick; dann flog es wie ein heftiger Schreck über sein hübsches, jetzt tief erbleichtes Gesicht. In der nächsten Sekunde stand er vor dem Goliath.
„Vater!“ rief er aus.
„Frieder!“ antwortete der Riese.
Sie lagen sich in den Armen. Aus der Innigkeit der Umarmung konnte man auf die herzliche Liebe schließen, welche die beiden verband.
„Endlich, endlich bist wieder da, Frieder!“ seufzte der Bauer auf. „Ich laß dich nun auch gar nimmer wieder fort. Nicht wahr, du bleibst, du böser Wandervogel?“
„Ja, Vater! Und wenn ich dich und die Mutter auch
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