73 - Der Dukatenhof
jenen Sünden, die vom Volk durch allerhand Trugschlüsse und Spitzfindigkeiten beschönigt werden, so daß man die Pascher mit dem Heldennimbus umgibt und vorzieht, ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, statt sie der wohlverdienten Strafe zu überliefern.“
„Hast recht, Frieder, und wenn es auf mich ankäme, so müßten sie alle am Strick baumeln. Aber tue mir doch den Gefallen und sprich nicht so vornehm wie bisher, sondern rede die Sprache, die wir daheim sprechen, sonst kommst mir fremd vor, und ich weiß nicht, ob du auch wirklich der Frieder bist! Also gerade wie damals mit dem ‚Grenzmeister‘ ist's auch jetzt mit dem ‚Waldschwarzen‘, nur daß dieser noch viel schlimmer ist als jener. Was jetzt in einer Woche über die Grenze geschafft wird, das ist sonst in vielen Jahren nicht hinüber- und herübergekommen, und das Wild ist beinahe ganz ausgestorben, weil der Waldschwarze es hinwegputzt, gerade wie der Bauer die Fliegen. Ganz große Schmuggelzüge gehen hin und her; die Leute sind bewaffnet bis an die Zähne; der Grenzer, der es wagt, mit ihnen anzubinden, ist verloren, und wer ihnen unglücklicherweise begegnet, wird unschädlich gemacht, wie und womit, das siehst du an mir.“
„Schrecklich! Und die Obrigkeit, Vater?“
„Die Obrigkeit, ha, ha! Die gibt sich alle Mühe, aber vergebens. Sie versteht's nicht! Hat sie mir das Auge beschützt? Kann sie mir das Licht zurückgeben in der Finsternis, die mich umgibt, wie das weite Meer den Mann, der am Strohhalm hängt? Wo soll man den Hauptmann der Pascher suchen, und wo soll man ihn greifen und packen? Niemand weiß, wer er ist und wo er wohnt; er ist nirgends und doch überall, und seine Leute sind ihm Untertan und gehorsam aufs Wort und auf den Wink. Die Förster und die Grenzer haben sich zusammengetan und ihm Urfehde geschworen; er lacht sie alle miteinander aus. Niemand hat solche List und Stärke wie er; er ist der Fuchs und der Tiger zugleich; das ist der Grund, warum ihn keiner fängt.“
„Sollte es wirklich niemand geben, der ihm die Faust auf den Nacken legt, Vater?“ fragte Frieder mit einem selbstbewußten Lächeln.
„Keinen! Die Bachbauern sind seit Menschengedenken ein stark Geschlecht gewesen, und auch ich habe mir auf meine Kraft viel zugut gewußt. Der Feldbauer ist der einzige, der mir just gewachsen war, und doch sind wir unterlegen, dein Bruder Franz und ich! Freilich weiß ich nicht, auf welche Weise sie über mich gekommen sind, und bei mir sind es gar viele gewesen, sonst hätte meine Faust sich schon Raum verschafft.“
„Wie ist's gekommen, Vater?“
„Das war so: Dein Bruder, der Franz, hatte stets gute Freundschaft gehalten mit dem Förster, und sie sind beide sehr oft miteinander auf die Pirsch gegangen. Eines Nachts nun kommen sie nicht wieder heim, und am Morgen findet man sie an einen Baum gebunden, der eine hüben, der andere drüben, und jeder tot, die Kugel in der Brust! Die Erde und das Gestrüpp waren ringsumher zerstampft und zertreten, als hätte ein gewaltiger Kampf stattgefunden, und in der Tasche steckte bei ihnen ein Zettel, darauf stand geschrieben: ‚Zur Strafe vom Waldschwarzen‘. Als sie mir nachher den Franz herbeibrachten, ist mir's gewesen, als ob mich einer mit der Keule erschlüge; ich habe alle Sinne verloren, mich eingeschlossen und nichts gewußt von dem, was um mich vorgegangen ist. Erst nach dem Begräbnis hat mich die Mutter wieder hervorgebracht, und ich bin hinausgegangen auf den Friedhof zu meinem Sohn, der tief unter der Erde gelegen hat, wo ihn mein Auge nicht erreichen konnte. Da habe ich das Gelübde getan, nicht zu ruhen und nicht zu rasten, bis der Waldschwarze unter mir liegt wie der Tiger unter dem Elefanten, der ihn mit einem einzigen Tritt vernichtet und zermalmt!“
Die letzten Worte waren pfeifend zwischen den knirschenden Zähnen hervorgestoßen worden, und über das Gesicht des Erzählers zuckte ein Grimm, der alle seine Glieder erbeben machte. Frieder hatte seine beiden Hände ergriffen.
„Vater“, rang es sich aus seiner hochgehenden Brust hervor, „grad so denke und fühle auch ich in diesem Augenblick, und was dir nicht gelungen ist, das werde ich um so sicherer erreichen; das schwöre ich dir. Hier hast du meine Hand darauf!“
„Du? Geh, Bub! Was denkst denn von dir und ihm? Du bist der kleine Student, der mir nicht an die Schulter reicht, und dem das Studium das Mark aus Leib und Seele genommen hat. Ich habe es nimmer gern gehabt, dich als
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