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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Musikverständnis zu besitzen. Ich Tor! Dieser einfache Katechet gab mir Nüsse zu knacken, die mir sehr zu schaffen machten. Was Musik eigentlich ist, das begann ich erst jetzt zu ahnen, und die Musik ist nicht etwa das allergeringste Mittel, durch welches die Kirche wirkt.
    Der katholische Pfarrer kam nur dann zu mir, wenn eine besondere Feststellung in Beziehung auf die Orgelbegleitung nötig war. Er sprach nur das allernötigste, über Religion gar nicht; aber wenn er zu mir hereintrat, war es stets, als ob bei mir die Sonne zu scheinen beginne. Solche Sonnenmenschen sind selten, und doch müßte eigentlich jeder Geistliche ein Sonnenmensch sein, denn der Laie ist nur allzusehr geneigt, die Kirche so zu betrachten und zu beurteilen, wie ihre Priester sich zu ihm stellen. Über den Unterschied zwischen dem protestantischen und dem katholischen Gottesdienst gehe ich hinweg, aber jeder vernünftige Mensch wird es für ganz naturgemäß und selbstverständlich halten, daß ich nicht vier Jahre lang an dem letzteren teilnehmen, ja sogar aktiv an ihm beteiligt sein konnte, ohne von ihm beeinflußt zu werden. Wir sind doch keine Steine, von denen alles Weiche abprallt! Und sogar dieser Stein wird warm, wenn der Sonnenstrahl ihn trifft! Und diese Gottesdienste waren ja Sonnenstrahlen! Es liegt noch heut eine unendliche Dankbarkeit für diese Wärme und diese Güte in mir, die sich meiner annahm und keinen einzigen Vorwurf für mich hatte, als alles andere gegen mich war. Ich habe sie gesegnet bis auf den heutigen Tag und werde sie segnen, solange ich lebe! Wie arm müssen doch die Menschen innerlich sein, welche behaupten, daß ich katholisiere! Es ist ganz unmöglich, daß sie die Menschenseele und die in ihr liegenden Heiligtümer kennen. Übrigens habe ich über den katholischen Glauben gar nichts geschrieben, über den mohammedanischen aber ganze Bände. Der Vorwurf, daß ich islamisiere, erscheint also viel berechtigter als der, daß ich katholisiere. Warum macht man mir diesen nicht? Die Madonna ist von hundert protestantischen Malern dargestellt und von hundert protestantischen Dichtern, sogar von Goethe, behandelt worden. Warum sagt man von diesen nicht, daß sie katholisieren? Ich habe der katholischen Kirche für die hochsinnige Gastfreundlichkeit, die sie mir, dem Protestanten, vier Jahre lang erwies, durch ein einziges Ave Maria gedankt, welches ich für meinen Winnetou dichtete. Ist das ein Grund, mich der religiösen Heuchelei zu bezichtigen? Noch dazu des Geldes wegen! Ich wiederhole: Wie arm müssen die Menschen sein, wie unendlich arm! –
    Ich muß konstatieren, daß diese vier Jahre der ungestörten Einsamkeit und konzentrierten Sammlung mich sehr, sehr weit vorwärtsgebracht haben. Es stand mir jedes Buch zur Verfügung, das ich für meine Studien brauchte. Ich stellte meine Arbeitspläne fertig und begann dann mit der Ausführung derselben. Ich schrieb Manuskripte. Sobald eines fertig war, schickte ich es heim. Die Eltern vermittelten dann zwischen mir und den Verlegern. Ich schrieb diesen nicht direkt, weil sie jetzt noch nicht erfahren sollten, daß der Verfasser der Erzählungen, die sie druckten, ein Gefangener sei. Einer aber erfuhr es doch, weil er persönlich zu den Eltern kam. Das war der später noch viel zu erwähnende Kolportagebuchhändler H.G. Münchmeyer in Dresden. Er war Zimmergesell gewesen, hatte bei Tanzmusiken auf dem Dorf das Klappenhorn geblasen und war dann Kolporteur geworden. In dieser Eigenschaft kam er auch nach Hohenstein-Ernsttal und lernte in einem benachbarten Dorf eine Dienstmagd kennen, die er heiratete. Das fesselte ihn an die Gegend. Er wurde da bekannt und erfuhr auch von mir. Was er da Tolles hörte, schien ihm außerordentlich passend für seine Kolportage. Er suchte meinen Vater auf und machte sich vertraut mit ihm. So kamen ihm meine Manuskripte in die Hand. Er las sie. Einiges war ihm zu hoch. Anderes aber gefiel ihm so, daß es ihn, wie er sagte, entzückte. Er bat, es drucken zu dürfen, und bekam die Erlaubnis dazu. Er wollte sofort bezahlen und legte das Geld auf den Tisch. Vater aber nahm es nicht. Er schob es zurück und forderte ihn auf, es mir persönlich zu geben, wenn ich entlassen sei. Hierauf ging Münchmeyer sehr gern ein. Er versicherte, ich sei der Mann, den er gebrauchen könne; er werde mich nach meiner Heimkehr aufsuchen und alles Nähere mit mir besprechen.
    Dies erzähle und stelle ich für einstweilen fest. Es ist für manches Folgende

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