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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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von großer Wichtigkeit, zu wissen, daß Münchmeyer nicht nur meine Vergangenheit, wie sie in Wahrheit verlief, genau kannte, sondern auch alles gehört hatte, was hinzugelogen worden war.
    Was meinen seelischen Zustand betrifft, so hatte ich Ruhe, vollständige Ruhe. In den ersten vier Wochen der letzten vier Jahre war es noch vorgekommen, daß die dunklen Gestalten mich innerlich gequält und mit Zurufen belästigt hatten; das hatte aber nach und nach aufgehört und war schließlich still geworden, ohne sich wieder zu regen. Wenn ich hierüber nachdachte, ohne auf psychologische Abwege zu geraten, so kam ich zu der Einsicht, daß diese Gebilde nur solange Einfluß besitzen, wie man in den betreffenden Anschauungen steckt. Hat man aber die letzteren überwunden, dann müssen die Schreckbilder schwinden. Und dies schien das richtige zu sein; der Katechet war derselben Meinung. Ich hatte ihm von meinen inneren Anfechtungen nichts erzählt, wie ich in rein persönlichen und familiären Dingen überhaupt nie einen Menschen zu meinem Vertrauten mache. Aber zuweilen fiel doch ein Wort, welches nicht andeuten sollte, aber doch andeutete. Er wurde aufmerksam. Einmal kam ich im Verlauf des Gesprächs darauf, von meinen dunklen Gestalten und ihren quälenden Stimmen zu sprechen; aber ich tat so, als ob ich von einem anderen spräche, nicht von mir selbst. Da lächelte er. Er wußte gar wohl, wen ich meinte. Am nächsten Tag brachte er mir ein kleines Buch, dessen Titel lautete: ‚Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt‘. Ich las es. Wie köstlich es war! Welche Aufklärung es gab! Nun wußte ich auf einmal, woran ich mit mir war! Nun mochten sie wiederkommen, diese Stimmen; ich hatte sie nicht mehr zu fürchten! Später, als er sich das Buch wieder holte, dankte ich ihm, der Freude entsprechend, die ich darüber empfand. Da fragte er mich:
    „Nicht wahr, Sie waren es selbst, von dem Sie erzählten?“
    „Ja“, antwortete ich.
    „Haben Sie alles verstanden?“
    „Nein, noch nicht.“
    „Dieses hier?“
    Er schlug eine Stelle auf; da war zu lesen: „Wer an diesen schweren Anfechtungen leidet, der hüte sich vor der Stelle, an der er geboren wurde. Er wohne niemals längere Zeit dort. Und vor allen Dingen, wenn er einmal heiratet, so hole er sich seine Frau ja nicht von diesem Ort!“
    „Nein, das verstehe ich noch nicht!“ gestand ich ein.
    „Ich auch nicht“, gab er zu. „Aber denken Sie darüber nach!“
    Dieses Nachdenken, welches er mir riet, führte mich zu keinem Resultat. Es handelte sich um eine rein psychologische Frage. Da ist die Erfahrung die einzige wissende Lehrerin, und diese Erfahrung mußte ich machen, ehe ich es begriff, leider, leider!

SECHSTES KAPITEL
    Bei der Kolportage
    Es war ausgestanden. Ich kehrte heim. Es war ein stürmischer Frühlingstag, es regnete und schneite. Vater kam mir entgegen. Es fiel ihm auch dieses Mal nicht ein, mir Vorwürfe zu machen. Er hatte meine Manuskripte gelesen und meine Briefe fast auswendig gelernt. Er wußte nun, daß er in Beziehung auf meine Zukunft nichts mehr zu befürchten hatte. Er kam bei dieser Gelegenheit auch auf Münchmeyer zu sprechen und darauf, daß dieser mich aufsuchen wolle.
    „Das wird vergeblich sein“, sagte ich. „Dieser Mann will Schundromane, aufregende Liebesgeschichten, weiter nichts. Solche Sachen schreibe ich nicht. Er glaubt wahrscheinlich, daß ich so ehrlos bin, ihm aus dem, was man über mich faselt, einen Kolportageroman zusammenzuflicken, der ihm allerdings viel Geld einbringen, mich aber vernichten würde. Da irrt er sich. Ich habe ganz andere Zwecke und Ziele!“
    Vater gab mir recht. Als wir oberhalb der Stadt angekommen waren und sie vor uns liegen sahen, zeigte er nach dem nächsten Dorf hinüber, auf ein alleinstehendes, neugebautes Haus und fragte mich:
    „Kennst du das dort?“
    „Ist es nicht die Stelle, wo damals das Feuer war?“
    „Ja. Einige Tage, nachdem du fort warst, kam es heraus, wer es angezündet hat. Es wurde mit dem Täter sehr rasch verfahren. Er ist noch eher in das Zuchthaus gekommen als du. Mutter wird es dir erzählen.“
    „O nein! Ich will nichts wissen, gar nichts. Bitte sie, daß sie hierüber schweigen soll!“
    Noch an demselben Abend erfuhr ich, daß der Ortswachtmeister in der Kneipe damit geprahlt hatte, wie scharf er mich empfangen werde, zwei Jahre lang; er lasse mich keinen Tag lang aus den Augen! Er kam schon am andern

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