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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Vormittag und warf sich derart in die Brust, daß man es wirklich keinem in dieser Weise behandelten Menschen übelnehmen kann, wenn er dadurch rückfällig wird. Er behauptete, zwei Jahre lang mein Vorgesetzter zu sein, bei dem ich mich täglich zu melden habe. Dann zog er die betreffenden Gesetzesparagraphen aus der Tasche, um mir eine Vorlesung über meine Pflichten zu halten. Ich sagte kein Wort, sondern öffnete die Tür und gab ihm einen Wink, sich zu entfernen. Als er das nicht sofort tat, tat ich es. Ich ging zum Bürgermeister und machte kurzen Prozeß. Ich forderte einen Auslandspaß, und als mir die Auskunft wurde, daß dies nicht so ohne weiteres möglich sei, war ich schon am nächsten Tage ohne Paß unterwegs.
    Im Zug saß ich in einem sonst leeren Coupé. Es ging über die Grenze. Da begann es plötzlich in mir laut zu wüten und zu toben, zu schreien und zu brüllen wie in einem Dorfwirtshaus, in dem die Bauernknechte mit Stuhlbeinen aufeinander schlagen. Hunderte von Gestalten und Hunderte von Stimmen waren es, von denen das kam. Früher hätte es mich entsetzt; heut aber ließ es mich kalt. Diese Sumpfreminiszenzen, die mich nicht hergeben wollten, hatten ihre Macht über mich verloren. Ich reagierte nicht darauf, und so sollte es nach und nach ganz von selber still werden.
    Wohin diese Reise ging und wie sie verlief, soll der zweite Band berichten. Inzwischen kam Münchmeyer, um nach mir zu fragen. Ich war schon fort. Da zahlte er das Honorar und ging unverrichteter Sache wieder heim. Ungefähr dreiviertel Jahre später erschien er wieder, und zwar nicht allein, sondern mit seinem Bruder. Dieses Mal fand er mich daheim, denn ich war wieder da, um meine ‚Geographischen Predigten‘ zu schreiben und in Druck zu geben. Sein Bruder war Schneider gewesen und dann auch Kolporteur geworden. Das Geschäft war bisher gutgegangen, sogar außerordentlich gut; nun aber stand es in Gefahr, ganz plötzlich zusammenzubrechen. Man brauchte einen Retter, und der sollte ich sein, ausgerechnet ich! Das war mir unbegreiflich, weil ich mit Münchmeyer noch nie etwas zu tun gehabt hatte, auch gar nichts mit ihm zu tun haben wollte und weder ihn noch seine Lage kannte. Er erklärte sie mir. Er war ein klug berechnender, sehr beredter Mann, und sein Bruder sekundierte ihm in so trefflicher Weise, daß ich beide nicht kurzerhand abwies, sondern sie aussprechen ließ. Aber als sie das getan hatten, war ich – eingefangen, obgleich ich es nie für möglich gehalten hätte, daß ich jemals zu der ‚Kolportage‘ in irgendeine Geschäftsbeziehung treten könne.
    Münchmeyer hatte es zu einer nicht unbedeutenden Druckerei mit Setzersaal, Stereotypie usw. gebracht. Was er herausgab, war allerdings die niedrigste Kolportage. Er sprach von einem sogenannten ‚Schwarzen Buch‘ mit lauter Verbrechergeschichten, von einem sogenannten ‚Venustempel‘, der eine wahre Goldgrube sei, und von einigen anderen Werken gleicher Art. Für heut aber handle es sich um ein Wochenblatt, welches er unter dem Titel ‚Der Beobachter an der Elbe‘ herausgebe. Gründer und Redakteur dieses Blattes sei ein aus Berlin stammender Schriftsteller namens Otto Freytag, ein sehr geschickter, tatkräftiger, aber in geschäftlicher Beziehung höchst gefährlicher Mensch. Dieser habe sich mit ihm überworfen, sei plötzlich aus der Redaktion gelaufen, habe alle Manuskripte mitgenommen und wolle nun ein ganz ähnliches Blatt wie den ‚Beobachter an der Elbe‘ herausgeben, um ihn totzumachen.
    „Wenn ich nicht sofort einen anderen Redakteur bekomme, der diesem Menschen über ist und es mit ihm aufzunehmen versteht, bin ich verloren!“ schloß Münchmeyer seinen Bericht.
    „Aber wie kommen Sie grad auf mich?“ erkundigte ich mich. „Ich bin weder Redakteur noch in irgendeiner Weise bewährt!“
    „Das lassen Sie meine Sorge sein! Ich habe viel von Ihnen gehört und, vor allen Dingen, ich habe Ihre Manuskripte gelesen. Ich kenne mich aus. Sie sind der, den ich brauche!“
    „Aber ich habe ganz andere Sachen vor, und zur Kolportage wird mich niemand bringen!“
    „Weil Sie sie nicht kennen. Man kann doch auch gutes mit ihr leisten. Was haben Sie denn vor?“
    Ich erklärte ihm meine Pläne. Da fing er Feuer; er begeisterte sich für sie. Er gehörte zu jenen Leuten, die gern vom Hohen schwärmen, aber doch vom Niedrigen leben.
    „Das ist ja vortrefflich, ganz vortrefflich!“ rief er aus. „Und das können Sie alles bei mir erreichen, am besten

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