74 - Mein Leben und Streben
aber doch wohl nur Ihre Absicht! Was sagt denn sie dazu?“
„Sie ist einverstanden.“
Da sprang er von dem Stuhl auf, wurde tiefrot im Gesicht und rief aus:
„Daraus wird nichts, nichts, nichts! Meine Tochter ist nicht dazu geboren und nicht dazu erzogen, daß sie sich mit einem armen Teufel durch das Leben schindet! Die kann andere Männer kriegen. Die soll mir keinen Schriftsteller heiraten, der, wenn es gutgeht, nur von seiner Berühmtheit und nur vom Hunger lebt!“
„Denken Sie dabei etwa auch mit an meine Vorstrafen?“ fragte ich. „Das würde ich gelten lassen!“
„Unsinn! Das kümmert mich nicht. Es laufen Hunderttausende in der Freiheit herum, die in das Zuchthaus gehören! Nein, das ist es nicht. Ich habe ganz andere Gründe. Sie bekommen meine Tochter nicht!“
Er rief das sehr laut aus.
„Oho!“ antwortete ich.
„Oho? Hier gibt es kein Oho! Ich wiederhole Ihnen, Sie bekommen meine Tochter nicht!“
Er stampfte bei jedem dieser Worte, um ihren Eindruck zu verstärken, mit dem Spazierstock auf den Boden. Es juckte mir förmlich in der Hand, sie ihm auf die Achsel zu legen und ihm lachend zu sagen:
„Gut, so behalten Sie sie!“
Aber dagegen bäumte sich das väterliche Erbteil in mir auf, der zähe, unbedachte Zorn, der niemals das Richtige tut. Ich brauste nun auch auf:
„Wenn ich sie nicht bekomme, so nehme ich sie mir!“
„Versuchen Sie das!“
„Ich werde es nicht nur versuchen, sondern ich werde es tun, wirklich tun!“
Da lachte er.
„Sie werden sich nicht zu mir wagen. Ich verbitte mir von jetzt an jeden Besuch!“
„Das versteht sich ganz von selbst. Aber ich sage Ihnen im voraus: Sie werden seinerzeit persönlich zu mir kommen und mich bitten, Sie zu besuchen. Jetzt aber leben Sie wohl!“
„Ich Sie bitten? Nie, nie, niemals!“
Er ging. Ich aber schrieb drei Zeilen und schickte sie seiner Tochter. Die lauteten:
„Entscheide zwischen mir und deinem Großvater, wählst du ihn, so bleib; wählst du mich, so komm sofort nach Dresden!“
Dann reiste ich ab.
Sie wählte mich; sie kam. Sie verließ den, der sie erzogen hatte und dessen einziges Gut sie war. Das schmeichelte mir. Ich fühlte mich als Sieger. Ich tat sie zu einer Pfarrerswitwe, die zwei erwachsene, hochgebildete Töchter besaß. Durch den Umgang mit diesen Damen wurde es ihr möglich, sich alles, was sie noch nicht besaß, spielend anzueignen. Von da aus bekam sie Gelegenheit, eine selbständige Wirtschaft führen zu können. Auch ich arbeitete mit gutem, ja mit sehr gutem Erfolg. Ich wurde bekannt und bezog sehr anständige Honorare. Ich hatte mit meinen ‚Reiseerzählungen‘ begonnen, die sofort in Paris und Tours auch in französischer Sprach erschienen. Das sprach sich herum; das imponierte sogar dem ‚alten Pollmer‘. Er hörte von Kennern, daß ich im Begriff stehe, ein wohlhabender, vielleicht gar ein reicher Mann zu werden. Da schrieb er an seine Tochter. Er verzieh ihr, daß sie ihn um meinetwillen verlassen hatte, und forderte sie auf, nach Hohenstein zu kommen, ihn zu besuchen, mich aber mitzubringen. Sie erfüllte ihm diesen Wunsch, und ich begleitete sie. Aber ich ging nicht zu ihm, sondern nach Ernsttal zu meinen Eltern. Er schickte nach mir; ich aber antwortete, er wisse wohl, was ich ihm vorausgesagt habe. Wenn er mich bei sich haben wolle, müsse er persönlich kommen, mich einzuladen. Und er kam!
Ich fühlte mich wieder als Sieger.
Wie töricht von mir!
Hier hatte nicht ich, sondern nur die Erwägung gesiegt, daß ich es wahrscheinlich zu einem Vermögen bringen werde, und es gab sogar die Gefahr für mich, daß diese Erwägung nicht allein vom Großvater getroffen worden war. Übrigens bat er sie, bis zu unserer Verheiratung bei ihm in Hohenstein zu bleiben. Ich hatte nichts dagegen und gab mein Logis in Dresden auf, um bei den Eltern in Ernsttal zu wohnen. Es war damals eine Zeit gegenseitiger innerer und äußerer Entwicklungen für mich. Ich schrieb und machte Reisen. Von einer dieser Reisen zurückgekehrt, erfuhr ich, kaum aus dem Coupé gestiegen, daß heute nacht der ‚alte Pollmer‘ gestorben sei; der Schlag hatte ihn getroffen. Ich eilte nach seiner Wohnung. Man hatte mir zuviel gesagt. Er war nicht tot; er lebte noch, er konnte aber weder sprechen noch sich bewegen. Sein Enkelkind saß in einer seitwärts liegenden Stube bei einer klingenden Beschäftigung. Sie hatte nach seinem Geld gesucht und es gefunden. Es war nicht viel; ich glaube kaum zweihudert Mark.
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