760 Minuten Angst
nicht töten können, auch wenn er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte.
Dann war Rick im Flur aufgetaucht und hatte Constantin eine Kugel in den Kopf gejagt. Er hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt. Erst darauf hatte er sich übergeben und war zusammengebrochen, was aber mehr an seiner Schussverletzung als an der Handlung lag.
Jake hatte genau wie Rick gewusst, dass sie aus dieser Schnitzeljagd nur entkommen konnten, wenn nur einer am Leben blieb. Doch Jake war nicht bereit, Rick dafür tatsächlich zu opfern. Daher setzte er den Lauf schräg nach oben an. Dadurch sah es zwar von vorne so aus, als hätte er Rick durchs Herz geschossen, doch in Wahrheit war die Kugel hauptsächlich durch die Schulter gegangen.
Er hatte Rick nicht nur »Es tut mir leid« zugeflüstert, sondern auch »Stell dich tot« und alles hatte genauso funktioniert, wie es sich Jake erhofft hatte. Constantin ließ ihn frei, nur mit seiner Person im Flur hatte er nicht gerechnet. Und auch nicht mit Rick, der ihn daraufhin erschoss.
Nachdem Constantin gestorben war, reichte Jake sein T-Shirt an Rick, damit dieser seine Blutung abdrücken konnte. Dann kam die, für Jake viel zu lange Suche nach einem Handy, bis ihm einfiel, dass Constantin bestimmt eines besaß.
Kaum hatte er die Nummer des Notrufs gewählt und sich eine Minute Ruhe gegönnt, ging er in den Raum am Ende des Flurs, wo Mira, Karo, Klara und Barbara auf ihren Sofas warteten. Friedlich, als könnte nichts ihre Ruhe stören. Erst dann ließ sich Jake fallen und alles an sich vorüberziehen.
An die letzten Stunden konnte er sich nur noch stückweise erinnern. Natürlich kamen der Krankenwagen und die Polizei, die Jake angefordert hatte. Sie stellten ihm alle möglichen Fragen, die er auch beantwortete, auch wenn er jetzt nicht mehr wusste, was er genau gesagt hatte. Dann kamen sie alle ins Krankenhaus Barmherzige Brüder und wurden untersucht.
Irgendwann war Jake eingeschlafen und jetzt erst erwacht. Die Krankenschwester war so nett gewesen, Jake den Weg zu weisen und nun, da er vor der Tür stand, hatte er auch endlich das Gefühl, bereit zu sein.
Er trat ein.
»Hey«, war das einzige Wort, das ihm einfiel, als er Rick im Bett liegen sah.
»Hey«, erwiderte dieser den Gruß.
»Wie geht‘s dir?«, fragte Jake.
»Ganz gut. Die Ärzte sagen, es wird schon wieder. Na ja, außer das natürlich.«
Er hob seinen linken Arm und offenbarte dadurch seinen Stumpf, der diesmal wesentlich professioneller verbunden war. Jake senkte betrübt den Kopf.
»Lass den Kopf nicht hängen«, erwiderte Rick. »Es ist nicht deine Schuld und ohne dich würde ich wohl gar nicht mehr leben.«
»Ich konnte dich nicht töten.«
»Und ich bin verdammt froh drum.«
Rick lächelte und es war das erste Mal, dass Jake diesen jungen Mann aufrichtig lächeln sah. Es erwärmte sein Herz und stimmte ihn ein wenig fröhlich.
Die Tür hinter ihnen schwang erneut auf und eine Schwester trat in das Krankenzimmer. Sie hatte ein Kind im Schlepptau, dass Jake wohl nie mehr vergessen würde.
»Hey, meine Kleine«, begrüßte Rick seine Nichte, die angelaufen kam.
»Onkel Rick«, sagte sie mit ihrer zuckersüßen Stimme, während sie sich im Oberkörper ihres Onkels verkroch, der seinen gesunden Arm um sie legte, auch wenn es ihm Schmerzen bereitete.
»Sie wollte unbedingt zu Ihnen, kaum dass sie aufgewacht war«, erklärte die Schwester den plötzlichen Besuch.
»Schon gut«, sagte Rick und sah sie dabei lächelnd an. »Und danke.«
»Nichts zu danken.«
Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und auch Jake machte sich auf den Weg zur Tür.
»Warte«, stoppte Rick seinen vermutlich ersten wahren Freund. »Ich habe das von deiner Aussage erfahren.« Er machte eine längere Pause. »Danke.«
»Wofür?«, fragte Jake gespielt verwundert. »Ich habe schließlich ganz genau gesehen, wie dich Constantin bedroht hat. Du hattest gar keine andere Wahl, als ihn in Notwehr zu erschießen.«
Rick nickte und auch Jake gab ihm mit einer sanften Kopfbewegung zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Alles war gesagt. Nun konnte er getrost zurückkehren.
06:29 Uhr, noch 3 Minuten bis zum Ende der Angst
Als er das Zimmer betrat, wandte sich gerade ein Arzt von ihrem Bett ab und kam geradewegs auf ihn zu, kaum dass dieser ihn bemerkt hatte. Jake musterte ihn, ohne wirklich auf sein Äußeres zu achten. Er hatte in diesem Moment lediglich seine Tochter im Sinn.
»Herr Meisner?«, fragte ihn der Arzt und als Jake
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