760 Minuten Angst

ändern. Mir gab es hingegen die Gelegenheit, noch ein Dokument zu öffnen, das mit einigen Punkten versehen war, wovon ein paar bereits durchgestrichen waren.
    Ich las mir die noch offenen Posten durch, damit ich keinen Schritt meines Plans vergaß oder falsch ausführte. Ich hatte viel Zeit in diese Schnitzeljagd investiert und hatte nicht vor, zu versagen.
    Die Uhr am unteren rechten Rand des Bildschirms sprang um und abermals konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Es war soweit. Die Nachricht hatte ihren Auftritt und damit würde die Schnitzeljagd erst richtig beginnen.
    Ich verspürte Angst und Freude zugleich.
    Ich war tatsächlich ein Monster geworden.

18:32 Uhr, noch 720 Minuten bis zum Ende der Angst

    Es spielte keine Rolle, wo sich die »Spielfiguren« befanden oder was sie bis dahin getan hatten, jetzt zählte nur noch dieser Augenblick, um sich ganz und gar der Nachricht hinzugeben.
    Jeder von ihnen öffnete das Paket, jeder auf seine Art, doch alle mit demselben Ziel und denselben, verwirrten Gedanken. Sie alle entdeckten das Mobiltelefon und folgten mit gemischten Gefühlen der laufenden Aufnahme auf dem Display …

    Das Video zeigte eine Wanderung durch einen Friedhof aus der Egoperspektive, während im Hintergrund »My Immortal« von »Evanescence« lief.

    I’m so tired of being here, suppressed by all my childish fears, and if you have to leave, I wish that you would just leave, because your presence still lingers here and it won’t leave me alone

    Ich bin es so leid hier zu sein, unterdrückt von all meinen kindlichen Ängsten, und wenn du gehen musst, wünschte ich, du würdest einfach gehen, denn deine Anwesenheit verweilt hier immer noch und sie wird mich nicht alleine lassen

    Die unbekannte Person schlenderte weiter über den unbekannten Friedhof. Hin und wieder konnte man die Grabsteine deutlicher erkennen, wodurch Namen sichtbar wurden.
    Eine bedrückende Stimmung machte sich breit, als die Stimme von Amy Lee verstummte und allein die melancholische Musik zurückblieb.
    Doch es dauerte nicht lange, da wurde die Musik ein weiteres Mal begleitet. Doch diesmal war es die Stimme eines Mannes.

    »Willkommen bei meiner Schnitzeljagd«, lauteten seine ersten Worte.
    Er hatte eine ruhige, angenehme, etwas feminine Stimme, doch sie strahlte auch Kraft und Autorität aus. Sie nahm einen sofort gefangen.
    »Lange Zeit habe ich überlegt, wie ich mich am besten vorstellen soll, bis mir klar wurde, dass es in Wirklichkeit gar nicht um mich geht. Daher möchte ich meine ersten Worte neu formulieren.«

    Stille.
    Dann wieder Musik und die unverkennbare Stimme von Amy Lee. Die unbekannte Person wanderte dabei weiterhin durch den bedrückenden Friedhof.

    You used to captivate me, by your resonating light, but now I’m bound by the life you left behind, Your face, it haunts my once pleasant dreams, Your voice, it chased away all the sanity in me
    Du hast mich einst gefesselt, mit deinem nachhallenden Licht, aber jetzt bin ich an das Leben gebunden, das du hinterlassen hast, Dein Gesicht, es verfolgt meine einst angenehmen Träume, Deine Stimme, sie verjagte alle Vernunft in mir

    Die Frontsängerin machte erneut eine Pause und ließ die Zuschauer mit ihrer Musik zurück. Sie machte Platz für den zweiten Auftritt des noch unbekannten Mannes. Er war soweit, sich vorzustellen.

    »Willkommen zu eurer Schnitzeljagd.
    Natürlich werdet ihr euch jetzt fragen, warum spricht der Mann von mehreren Personen oder wer ist dieser Mann überhaupt und ich werde euch antworten, dass ich es euch nicht verraten werde.
    Es spielt nämlich keine Rolle.
    Ihr seid vielleicht nicht die einzige Person dieser Schnitzeljagd, doch ändert es nichts an der Tatsache, dass ihr alleine seid. Und was mich betrifft? Ich bin »C«.
    Nicht mehr und nicht weniger.
    Was ändert es schon, wenn ich euch meinen Namen nenne oder meine Beweggründe offenlege? Glaubt ihr denn wirklich, es würde euch befreien?
    So etwas wie Freiheit gibt es nicht. Ich weiß, wovon ich spreche, denn auch ich bin gefangen. Doch im Gegensatz zu mir könnt ihr vielleicht entkommen.
    Wer weiß …«
    »C« hörte auf zu sprechen und überließ es ein weiteres Mal Amy Lee, die Zuschauer zu unterhalten. Es war faszinierend, wie lange ein Spaziergang durch einen Friedhof dauern konnte. Würde er jemals ein Ende finden?

    I’ve tried so hard to tell myself that you’re gone, but though you’re still with me, I’ve been alone all along

    Ich habe versucht