8 Tage im Juni
passieren können. Er stand auf und bedeutete dem Vater, dass er drauÃen auf ihn warten würde. Dann lief er wieder den langen Flur entlang. Diesmal fand er, dass es hier komisch roch. Ein bisschen nach Turnhalle, ein bisschen nach Heilsarmee. Noch bevor er die Treppe erreichte, hörte er, wie Gustav und Sennefeld ihm folgten.
»Es kann doch nicht sein, dass solche Schläger ungestraft davonkommen«, regte sich Gustav auf. »Wie sieht die Auswertung der Ãberwachungskameras aus? Irgendein Hinweis auf die Dreckskerle wird sich doch wohl finden lassen.«
Lovis lief schnell die Treppe hinunter. An der Pforte musste er warten, bis Sennefeld dem Wachhabenden ein Zeichen gab. Dann bediente dieser den Türsummer und lieà Lovis passieren. DrauÃen regnete es immer noch, ein vorbeifahrendes Auto spritzte eine Fuhre Wasser auf den Bürgersteig. Lovis sprang zurück, zog sich die Kapuze des Sweatshirts ins Gesicht und lehnte sich an den Wagen des Vaters. Es dauerte ein paar Minuten, bis er auftauchte.
»Was sind das denn für Manieren? Einfach abhauen!« Gustav war immer noch auf hundertachtzig, als er den Wagen aufsperrte. »Du tust gerade so, als ob dich die ganze Sache nichts angeht. Steckst mal wieder den Kopf in den Sand. Du musst dich mit der Geschichte auseinandersetzen. Und dafür ist es ganz wichtig, dass die Schläger gefunden werden.«
Lovis sagte nichts, quälte sich auf den Sitz zurück und stellte das Radio noch lauter als auf der Hinfahrt.
Sein Vater startete den Wagen, fuhr aus der Parklücke heraus und stellte dann das Radio aus: »Ich weiÃ, dir geht es schlecht, aber Verdrängen ist keine Lösung. Deshalb ist es auch falsch, den Stummen zu mimen, damit keiner hört, dass du wieder stotterst. Ich rufe nachher bei Frau Wittkämper an und mache einen Termin für dich. Sie wird dir helfen können. Letztes Mal hat es auch geklappt.«
Am liebsten wäre Lovis an der nächsten roten Ampel ausgestiegen und zu Fuà durch den Regen gelaufen. Einfach losgelaufen, seine übliche Strecke vielleicht. Egal, einfach irgendwohin. Aber er konnte nicht locker aus dem Wagen springen. Und laufen schon gar nicht. Sein durchtrainierter Körper war in Sekundenschnelle zu Schrott geschlagen worden. Er zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und drehte sich in Richtung Fenster. Sein Vater sollte nicht sehen, dass er heulte.
Montag, 11. Juni
Diesmal wurde Jenny erst durch den Zug um 6 Uhr 23 geweckt. Gestern Morgen war sie doch nicht mehr ins Bett gekrochen. Zuerst hatte Jasmin über Kopfschmerzen geklagt und dann wollte Joe-Joe frühstücken. Nachdem sie bei der Fedotowa eine Kopfschmerztablette besorgt und für den kleinen Bruder Kakao gekocht hatte, war sie zu wach gewesen, um wieder schlafen zu gehen. Sie hatte sich irgendwelche Fernsehserien reingezogen, war aber zwischendurch immer wieder ans Fenster gelaufen und hatte auf den Innenhof gestarrt. Nein, die Schläger waren nicht ihretwegen in der Roten Burg, die wollten bestimmt zu Toni. So früh am Morgen? Hatten die zwei kein Zuhause? Brauchten sie einen Ort zum Pennen? Oder wollten sie sich hier verstecken? War die Polizei schon hinter ihnen her?
Im Innenhof plätscherte der Regen auf den Rasen und auch die Teppichstangen glänzten vor Nässe. Die mit Wasser vollgesogenen Blütendolden des Holunders baumelten wie schlaffer Christbaumschmuck kopfüber an den Sträuchern. Je länger Jenny dem Regen zusah, der auf den Innenhof tropfte, desto klarer wurde ihr, dass sie sich wegen der beiden Schläger keinen Kopf zu machen brauchte. Die Kerle kannten sie überhaupt nicht, weil sie sie auf dem Bahnsteig nicht gesehen hatten. Die konnten ihr so was von egal sein.
Kurz vor der Tagesschau war sie mit Rintintin noch mal nach drauÃen gegangen. Kein langer Spaziergang, wieder nur der Innenhof. Der Regen, die Müdigkeit und vielleicht auch noch ein Rest von Angst hatten sie davon abgehalten, weiter weg zu gehen. Jenny war niemandem begegnet. Nicht dass sie damit gerechnet hätte, die Schläger oder Toni zu sehen, aber es beruhigte sie doch, keinen der dreien zu treffen. An diesem Abend war sie früh zu Bett gegangen und tatsächlich eingeschlafen.
Kaum hatte sie den 6 Uhr 23er Zug gehört, kletterte sie aus dem Hochbett. Die Hausaufgaben, die hätte sie gestern noch machen müssen, waren ihr glatt durchgegangen. Egal, war nicht das erste
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