8 Tage im Juni
Mal.
Sie fütterte die Tiere, stellte die Kaffeemaschine an und ging unter die Dusche. Bevor sie Joe-Joe weckte, schob sie für ihn zwei Scheiben Brot in den Toaster. Schnell noch die Schulbrote schmieren, dann schlich sie ins Kinderzimmer und kitzelte ihren Bruder an den Zehen.
»Aufstehen, Kleiner, die Schule ruft!«
»Die Schule kann mich mal«, maulte Joe-Joe schläfrig.
»Später vielleicht, aber noch nicht in der dritten Klasse.« Jenny kitzelte den Kleinen so lange, bis er sich befreite und hinaus zum Bad sauste. Während er sich die Zähne putzte, sah sie nach Jasmin. Eine Hand im Karton des Kaninchens, die andere um den Kopf geschlungen, das Gesicht entspannt, so schlief sie tief und fest. Die bösen Geister hatten sie heute Nacht verschont und das war gut so.
»Mama«, flüsterte sie und ruckelte sanft an Jasmins Schultern. »Aufstehen. Rintintin muss raus!«
Jasmin rieb sich verschlafen die Augen. Das Kaninchen scharrte in der Kiste, Jenny lief in die Küche und kam mit einem Salatblatt für das Tier zurück.
»Du musst mit Rintintin raus«, wiederholte Jenny.
»Ich kann nicht nach drauÃen«, jammerte Jasmin. »Du weiÃt doch, dass ich nicht nach drauÃen kann.«
»Wir kommen sonst zu spät zur Schule.«
»Bitte, Jenny!«
Natürlich sah Jenny die Panik in Jasmins Augen. Ein Blick auf die Uhr, dann pfiff sie nach dem Hund. Wenn sie Glück hatte, würden sie die Bahn um halb noch schaffen, und sie würde höchstens fünf Minuten zu spät kommen.
Als sie zehn Minuten später mit Rintintin zurück war, lag Jasmin immer noch im Bett, und Joe-Joe hatte es sich vor dem Fernseher bequem gemacht.
»Hey, hab ich nicht gesagt, dass du gestiefelt und gespornt sein sollst, wenn ich zurückkomme?« Jenny setzte dem Kleinen den Ranzen auf und griff sich ihren Rucksack. Dann stachelte sie den Bruder zu einem kleinen Dauerlauf an, zehn Minuten brauchten sie mindestens bis zur Bahnstation. Aber so schnell sie auch liefen, sie schafften die Bahn um halb nicht. Joe-Joe lieferte Jenny noch halbwegs pünktlich in der Grundschule ab, aber sie selbst kam eine Viertelstunde zu spät zum Unterricht.
Deutsch bei der Safranski. Gedichtinterpretation stand auf dem Stundenplan. Paarreime, Kreuzreime und so weiter. »Ob das nun ein Jambus oder ein Trochäus ist, kann uns bestimmt Jenny sagen.« Konnte sie nicht. Egal. Die Safranski hatte sie sowieso auf dem Kieker. Nach der Stunde musste Jenny vor dem Lehrerpult warten, bis die Safranski die Eintragungen ins Klassenbuch beendet hatte.
»WeiÃt du, ob deine Mutter das Geld für die Klassenfahrt schon überwiesen hat?«, fragte sie immer noch schreibend und ohne aufzusehen.
»Muss ich fragen«, log Jenny.
»Bis spätestens Ende der Woche, entweder auf meinem Konto oder in bar, sonst kannst du nicht mit«, schob die Sanfranski hinterher, dann legte sie den Stift zur Seite und sah Jenny an: »So geht das nicht weiter. Schon wieder zu spät und ohne Hausaufgaben. Ich habe es dir schon ein paarmal gesagt: Du hast das Zeug, einen ordentlichen Abschluss zu bekommen, aber nicht, wenn du weiter so schlampst. Ohne Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wirst du auch nirgendwo eine Ausbildungsstelle kriegen. Also, reià dich am Riemen!«
In solchen Augenblicken wünschte sich Jenny eine Tarnkappe, ein Zaubermäntelchen, ein Loch im Boden. Irgendetwas, das sie unsichtbar machte. Und manchmal gelang es ihr tatsächlich, auch ohne ein Hilfsmittel, unsichtbar zu sein. Schonzeit, nannte Jenny das. An solchen Tagen rief sie kein einziger Lehrer auf oder wollte ihre Hausaufgaben sehen. Da machten die Jungs aus der 10 b keine dreckigen Witze über ihre roten Haare, da wurde sie nicht in den Zickenkrieg zwischen Cosima und Chantal hineingezogen. Da scheuchten sie die Brecher aus der 10 a auf dem Rückweg nicht von ihrem Sitzplatz in der Bahn. Der Rest dieses Tages war dann so ein Glückstag. Mathe, Geschichte, Englisch, Physik, keiner wollte ihre â nicht gemachten â Hausaufgaben sehen und in der Pause wurde sie von allen in Ruhe gelassen. Jenny war nicht da, sie war Luft.
Als sie Joe-Joe nach der letzten Stunde aus der Grundschule abholte, hatte sie den Ãrger mit der Safranski bereits vergessen. Der Rest des Unterrichts war doch klasse gelaufen. In der Bahn checkte Jenny ihr Handy. Keine Anrufe von unbekannten Nummern. Prima.
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