8 Tage im Juni
So durfte der Tag ruhig weitergehen.
Von der Bahnhaltestelle aus lief Joe-Joe ihr in Richtung Rote Burg voraus. Jenny lieà sich Zeit, sie kratzte mit den FuÃspitzen in den neuen Sperrmüllhaufen am StraÃenrand herum. Manchmal lieà sich auf dem Weg nach Hause da noch etwas Brauchbares finden. Aber in dem Zeugs hatten schon andere vor ihr geaast, das war der reinste Schrott. Die Fedotowa kam ihr entgegen. Seit ein paar Wochen ging sie am Stock, trotzdem schleppte sie sich jeden Tag ins Einkaufsparadies. Einkaufen musste Jenny gleich auch noch. Sie grüÃte die alte Russin und hielt dann nach Joe-Joe Ausschau. Der hatte seinen Schulranzen fallen lassen, weil er das Gerippe des Tartaren-Autos entdeckt hatte. Geschickt wie ein Affe kletterte er auf den nackten Dachträger.
»Guck mal, wer da ist«, rief er Jenny von oben zu und deutete auf das Blaue Tor.
Toni löste sich aus dem Torbogen und kam auf sie zu. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Jenny wusste, dass die Schonzeit für heute vorbei war.
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Ein bisschen Ballern, ein »Letâs play« an der Playstation, zu mehr konnte Lovis sich an diesem Morgen nicht durchringen. »Hobo IV« lag schon länger bei ihm herum, hatte Nils ihm mal geborgt. Aber das Spiel hatte ihn nie wirklich interessiert, das war so eine unterirdisch blöde Hau-drauf-Geschichte mit einem kotzenden und kackenden Hobo, eigentlich total ekelig, billiges Proll-Geballere und normalerweise nicht sein Niveau. Aber heute schoss er mit Ingrimm irgendwelche Bullen und Söldner ab und alle, die sich dem dämlichen Hobo sonst noch in den Weg stellten. Bis Level 3 war das nichts als âne Fingerübung, ein paar Augenklatscher rechts und links, mal da âne MG abgreifen, mal dort ein paar Handgranaten hinpfeffern. Doch dann kam der Level mit dem Panzer, der war echt schwer zu knacken.
»Lovis? Ich stell noch die Wäsche hin, dann geh ich arbeiten.« Gustav aus der Küche.
»Ja, ja.«
Die Daumen am Controller heià gespielt und super gelenkig. Wenigstens die zwei Finger hatten von der U-Bahn-Schlägerei nichts abbekommen! Ausweichen, drüberjumpen, spucken, speien. Totale Konzentration jetzt. Hey! Irgendwie musste es der Hobo doch schaffen, den behämmerten Panzer auszuschalten. Jetzt die volle Dröhnung! Half nichts, der Panzer machte den Hobo platt, zurück zum letzten Level. Bescheuertes Spiel!
Lovis stellte den Fernseher aus, stieà sich mit seinem Schreibtischstuhl ab, rollte durchs Zimmer und öffnete das Fenster. Lärmiges Vogelgezwitscher wehte zu ihm herein und der süÃliche Duft der groÃen Rosenhecke. DrauÃen herrschte feinstes Schwimmbadwetter und er hing in der Wohnung herum wie ein lichtscheuer Troll.
Die vorige Nacht hatten ihn die Drogen der Krankenhausärztin gut schlafen lassen, aber diese Nacht war der pure Horror gewesen. Als hätten alle Schmerzstellen in seinem Körper nur darauf gewartet, bis er ruhig im Bett lag, um dann gemeinsam eine polternde Technoparty auf seinen Knochen zu feiern.
»Du kannst doch allein bleiben, oder?«
Gustavs Fürsorge ging ihm auf den Geist!
»K-k-klar.« Verfluchte Stotterei! Immer noch verhakten sich die Worte in seinem Mund, zerbröselten zu einzelnen Buchstaben, klebten am Gaumen fest oder zerbrachen auf dem Weg an die Luft. Im Stillen hatte Lovis doch gehofft, dass sich das ganz schnell wieder geben würde. Aber nein. Er sah nicht nur aus wie ein Zombie, er sprach auch noch wie ein Depp.
»Guck mal, was ich in deinem Hemd gefunden habe!«
Gustav wehte ins Zimmer und hielt ihm den kleinen blauen Schülerausweis hin. Hatten die Sanitäter den der Einfachheit halber in seine Brusttasche gesteckt, weil es zu umständlich gewesen wäre, ihn wieder in die Hosentasche zu stecken? Lovis machte dem Vater mit dem Kopf ein Zeichen, den Ausweis auf den Schreibtisch zu legen.
»Das ist nicht deiner«, erklärte Gustav.
Jetzt griff Lovis interessiert nach dem Ausweis. Die grünen Augen wirkten auf dem billigen Automatenfoto wässrig blau und die roten Haare eher schlammbraun, aber natürlich, das war eindeutig das Mädchen. Jenny Schwarzer, las er. Burgmauerweg 17. Den Schulstempel konnte er nicht mehr entziffern. Der Ausweis musste irgendwann mal nass geworden sein. Sie hieà Jenny. Jenny von Jennifer. Der gleichnamige Song von Donovan fiel ihm ein, den hatte er mal im Gitarrenunterricht geübt. Ein
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