8 Tage im Juni
den Viechern die Schlinge um den Hals gelegt hat. Echt gruselig.«
Und nicht nur die Nummer habe ich mitgekriegt, dachte Jenny und fragte: »Und warum treibst du dich dann mit so einem weiter rum?«
»Gute Frage, Jenny, sehr gute Frage.«
Mehr sagte er erst mal nicht. Er blickte an Jenny vorbei hinaus auf den Fluss, über den die Bahn jetzt fuhr. Die Sonne war untergegangen und hatte das fröhliche Glitzern des Wassers mitgenommen. In der aufziehenden Dunkelheit wirkte der Rhein fast heimtückisch.
»WeiÃt du« â kurzer Blick zu ihr, dann wieder auf den Fluss â, »ist alles nicht so einfach. Ich hänge da irgendwie mit drin.«
Wo drin, hätte Jenny fragen können, tat es aber nicht. Früher hatten sie sich alles erzählt, aber jetzt hatte Jenny Angst vor möglichen Geständnissen. Schlug er öfter Leute zusammen? Räumte er irgendwelche Läden leer? Arbeitete er als Kurier für einen Mafia-Clan?
»Guck nicht so ernst. So schlimm ist es auch wieder nicht! Ich werde die Typen schon wieder los.«
Toni schubste sie an. Er lächelte sein Ritter-Anton-Lächeln, reichte ihr die Hand und zog sie vom Sitz hoch. »Nächste Haltestelle Wiener Platz«, ertönte die Ansage. Hier mussten sie raus. Wie früher rannten sie im Gleichschritt die Treppen hoch. Traurige Akkordeonmusik kroch über die Bahnsteige und Gänge. Jenny wusste, dass der Musiker am Eingang zur Buchheimer StraÃe saÃ, weit weg von den Alkis, die sich am Parkplatz hinter dem Rewe mit Korn die Nacht schönsoffen. Traurige Musik, die passte zu dieser schmuddeligen Seite der Stadt.
»Am Rhein oder über den Bahndamm zurück?«, fragte Toni, als sie auf dem Wiener Platz standen.
»Bahndamm«, entschied Jenny. Nicht weil es der kürzere Weg war, sondern weil hier bestimmt keine Romantik aufkommen würde. Kein Mond über dem Fluss, keine Bänke zum Knutschen, nur ein staubiger Weg mit Sperrmüllresten hie und da. Am Kiosk kaufte sich Toni noch ein weiteres Bier.
»Du säufst zu viel.«
»Nur weil dein Alter dem Suff erlegen ist, brauchste dich bei mir nicht wegen ein paar Bierchen aufzuregen.«
»Das war Joe-Joes Vater, nicht meiner, du Blödmann! Aber auch der geht dich nichts an, verstanden?«
»Du bist überhaupt nicht locker, Jenny Schwarzer! Hey, wo ist denn die wilde Jenny geblieben? WeiÃte noch, wie du als Erste über den Zaun vom Zirkus Roncalli geklettert bist?«
Stimmt. Sie war mal ein wildes Kind gewesen. Aber das war so lange her, dass das Wildsein schon gar nicht mehr zu ihr gehörte. Diese Verantwortung für Jasmin und Joe-Joe hatte ihr alles Abenteuerliche ausgetrieben.
In der Ferne wurde ein Zug rangiert und übertönte das Schweigen, in das sie beim Gehen verfielen. Es war nicht unangenehm, es war wie früher. Da waren sie auch oft nebeneinander hergelaufen, jeder seinen Gedanken nachhängend. Jenny fand auf dem vom Mondlicht beschienenen Weg zwei nur halbgerauchte Zigaretten, Toni noch eine weitere, die Jenny alle für Jasmin einsteckte. Eine Draisine rollerte vorbei, wieder quietschten irgendwo Bremsen beim Rangieren. Vertraute Geräusche, all das kannten sie seit ewig. Noch zwei brauchbare Kippen, Jasmin würde sich über die Ausbeute freuen. Bald würden sie in der Roten Burg sein. Ob Toni sie zum Abschied küssen wollte? Nichts da. Sie hatte ihm nichts versprochen und war ihm nichts schuldig.
Kreischen und ein wildes Flügelschlagen schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Sie rückte ein Stück näher zu Toni, sah ihn überrascht an.
»Was war das denn? Eine hungrige Katze, die eine Taube jagt?«
Eine andere Erklärung fiel Jenny nicht ein, aber Toni schüttelte den Kopf.
»Ich weiÃ, was das ist«, flüsterte er. »Los Jenny, lass uns den Abend ein bisschen abenteuerlich beschlieÃen.«
Bevor sie widersprechen konnte, griff er nach ihrer Hand und zog sie vom Bahndamm weg über einen schmalen Trampelpfad hinunter ins Niemandsland, ins Reich der Busch-People. Zwischen dem Brombeergestrüpp rutschten sie nach unten, bald sahen sie die Fackeln, die die Torbögen unter den Gleisen in ein gespenstisches Licht tauchten. Dann hörten sie Stimmengemurmel und Hühnergackern.
Alle waren da: Die Tartaren, die Türken, die Mucki-Buden-Typen und die Busch-People. Zumindest vermutete Jenny, dass all die Leute, die sie nicht aus der
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