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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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»How I wish I could choose between heaven and hell. How I wish I would save my soul …« Wer würde nicht den Himmel wählen, wenn er die Wahl zwischen Himmel und Hölle hätte? Und keiner wünschte sich mehr als er, dass er seine Seele retten könnte! Der Text traf ihn mit der Wucht eines überraschenden Geschenkes. Er sang ihn plötzlich. Ja, er sang! Traf die richtigen Töne und die Worte kullerten glasklar und fehlerfrei aus seinem Mund. Er sang den Song zwei-, dreimal durch, merkte wie seine Stimme fester wurde. Konnte er noch was anderes spielen? Aber klar! Er blätterte seine Noten durch und blieb bei »Jennifer« hängen. Für Jenny mit den grünen Augen! Das musste leise, fast lyrisch gesungen werden. So ein Sommer-Sonne-Strand-Stück. Und los: »Jennifer Juniper …« Er spielte und sang wie in seinen besten Zeiten, als sich die Mädchen im Schullandheim um ihn geschart und ihm völlig verzückt gelauscht hatten. Wie im Rausch schlug er die Akkorde kräftiger an, vertraute seiner Stimme mehr und mehr. Und all die Worte! Sie gehorchten ihm, schlüpften fehlerfrei aus seinem Mund, ließen sich dehnen und pressen, rollen und zwirbeln, brüllen und flüstern, hämmern und hauchen. Er war ein Zauberer!
    Begeistertes Klatschen ließ ihn verstummen. Lovis drehte sich zur Tür. Dort stand Gustav. Lovis hatte ihn nicht kommen hören, keine Ahnung, wie lange er ihm schon zuhörte.
    Â»Großartig, Lovis! Superklasse!« Ein anerkennendes Schulterklopfen. »Aber wenn du nicht alle Nachbarn gegen dich aufbringen willst, jetzt bitte nur noch piano! Schau mal auf die Uhr! Es ist fast Mitternacht. Sorry, dass ich so spät bin.«
    Â»Schon okay!«
    Â»Muss ja ein voller Erfolg gewesen sein, heute bei Frau Krumbach.«
    Â»Klar!«
    Noch nicht ein Stotterer im Gespräch mit Gustav! Morgen würde Lovis längere Zeit sprechen üben. Und wenn das weiter so gut klappte, dann würde er Diana, der Jägerin, mailen, dass sie ihre Beute vergessen konnte. Wäre doch gelacht, wenn er das nicht selbst hinbekäme.

Mittwoch, 13. Juni
    Fünfzig Liegestütze, zehn Minuten Seilspringen, so startete Lovis in den neuen Tag.
    Â»Bis später«, rief ihm sein Vater vom Flur her zu. »Und frag Frau Krumholz, wann du wieder in die Schule kannst! Ist nicht gut, wenn du zu viel Unterrichtsstoff versäumst.«
    Â»Ja, ja!« Lovis steigerte das Tempo beim Seilspringen. Die Schürfwunden auf den Knien ziepten noch, als er bei den Rechts-Links-Sprüngen das Seil wie eine Peitsche über den Boden knallen ließ, aber das war ein erträglicher Schmerz. Gut so, der Körper kam wieder in Form. Zeit, es mit dem Schwierigsten zu versuchen. Er legte das Seil zur Seite, öffnete die Schranktür und betrachtete sich im Spiegel. Die Schwellung von Lippe und Schläfe war zurückgegangen, dafür strahlte das blaue Auge jetzt in giftigen Lila- und Gelbtönen. Er sah immer noch wie einer aus dem Boxring aus. Lovis stellte sich vor, so vor seinen Mitschülern zu stehen. Das Auge würden sie bestimmt interessant finden und wissen wollen, wie das passiert war. »Wollt i-i-ihr das wirklich wissen?«, fragte er den Spiegel. Prima! Klappt doch! »A-a-also, i-ich stehe a-a-m Friesenplatz. Die waren zu dritt. Wollten mein Handy. Hab ja keines. Haben sofort losgeprügelt. A-a-alle drei. O-o-ohne Gnade. Ha-ha-haben mich auf die Gleise geschubst. Ei-ei-ein Mädchen hat mich hochgezogen …« Sein Kopf war nun hochrot vor Anstrengung. Fließend sprechen war was anderes. Hier probierte er es allein und entspannt. Aber was war, wenn er sich aufregte? Was, wenn er schnell auf eine Bemerkung reagieren musste? Er sah seine Klasse vor sich, stellte sich vor, wer lachte, wer anfing zu sticheln, wer ihm mit mitleidigen Blicken den Todesstoß versetzte. So konnte er nicht in die Schule zurück. Auf gar keinen Fall.
    Er knallte die Schranktür zu und schlüpfte in seine Laufschuhe. Raus, er musste raus! Heute lief er durch den Lentpark zum Fluss. Gewitterstimmung lag in der Luft, eine schwüle Hitze erschwerte das Atmen, der Himmel über dem Rhein schimmerte in einem kranken Grau. Während er gegen die drückende Stimmung anlief, malte er sich aus, wie die Polizei die Schläger festnahm. Ihre erschreckten Gesichter, wenn sie den Polizisten die Tür öffneten. Wie die Handschellen um ihre

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