8 Tage im Juni
seinem Stuhl saà und dessen Augen zwischen dem Mann und der Zaubertafel hin- und herswitchten.
Der Mann legte seine Laptop-Tasche neben dem Kühlschrank ab und kam auf den Tisch zu.
»Ich bin Gustav, Lovisâ Vater«, stellte er sich vor und reichte Jenny die Hand. »Und wer bist du?«
»Jenny. Jenny Schwarzer.« Selbstbewusst klang irgendwie anders.
»Sie schläft heute hier.« Lovis hatte sich gegen die Zaubertafel entschieden.
»Okay«, antwortete Lovisâ Vater gedehnt und goss sich ein Glas Wasser ein.
Jenny merkte, wie seine misstrauischen Augen an ihr herunterwanderten. Instinktiv versuchte sie, die kaputten Ballerinas zu verstecken. Ihre Jeans war auch nicht die neueste und das T-Shirt ein Billigteil von Kik. Na und?, hätte sie am liebsten geschrien. Um einen von den Gleisen zu ziehen, ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren, dafür brauchte es keine teuren Klamotten!
»Ihr kennt euch aus der Schule?«
Plauderton, voll falscher Lässigkeit, registrierte Jenny. Den setzten Lehrer gerne ein, bevor sie einen kurze Zeit später zur Schnecke machten.
»Sie hat mich von den Gleisen gezogen.«
Lovis, ganz stotterfrei. Die Miene des Vaters veränderte sich. Das Misstrauen verschwand aus seinen Augen, aber Jenny hätte nicht sagen können, was sich stattdessen darin breitmachte. Dankbarkeit? Erleichterung? Ãberraschung?
»Du bist ⦠Ja natürlich, der Schülerausweis, ich hätte selbst drauf kommen können!«
Der Vater tippte sich mit dem Zeigefinger kurz an die Stirn, um seine Vergesslichkeit anzudeuten, dann griff er so schnell nach ihren Händen, dass Jenny sie nicht mehr wegziehen konnte. Er drückte die Hände ganz fest.
»Jenny, du weiÃt nicht, wie froh ich bin, dass du Lovis gerettet hast«, sagte er. »Gibt es irgendwas, womit wir dir eine Freude machen können? Als Zeichen unserer Dankbarkeit sozusagen.«
Na klar, dachte Jenny. Hundertfünfzig Euro für die Klassenfahrt habe ich bitter nötig, ein ordentlicher Shopping-Gutschein wäre auch nicht schlecht und gegen einen kleinen Laptop hätte ich überhaupt nichts. Vielleicht sage ich einfach fünfhundert Euro, so viel wird ihm das Leben seines Sohnes ja wert sein. Oder warum nicht tausend? Aber etwas in ihr wehrte sich dagegen, sich für die Aktion am Friesenplatz bezahlen zu lassen. Sie war mutig gewesen, hatte echt was riskiert. Die Sache hätte auch anders ausgehen können. Konnte man Mut in Geld umrechnen? Wären dann tausend Euro nicht viel zu wenig? Jenny schwirrte der Kopf vor lauter Nachdenken. Weil sie sich nicht entscheiden konnte, zuckte sie einfach mit den Schultern.
»Irgendwas wird uns schon einfallen, womit wir dir eine Freude machen können«, lachte der Vater und lieà ihre Hände los. »Nicht wahr, mein Sohn?«
Er stupste Lovis an, aber der zuckte auch nur mit den Schultern und sah dabei Jenny an. Er ist halt, wie er ist, sagte sein Blick. Eltern kann man sich nicht aussuchen. Wohl wahr, dachte Jenny.
»Es ist auf alle Fälle gut, dass Lovis dich gefunden hat«, machte der Vater weiter. »Du kannst dir vorstellen, wie sehr wir wünschen, dass die Schuldigen bestraft werden, und wir wären dir sehr dankbar, wenn du uns dabei helfen würdest. Du hast doch die drei Schläger gesehen, nicht wahr?«
Du bist so eine blöde Kuh, schimpfte sich Jenny still. Wie konntest du mit dem Jungen nach Hause gehen und dir nicht ein einziges Mal über genau diese Frage Gedanken machen?
»Ich habe die Typen nur von hinten gesehen, weil ich mich sofort hinter der Betonsäule versteckt habe«, log sie.
»Aber vielleicht kannst du trotzdem mal mit Lovis zur Polizei und dir entsprechende Fotos ansehen?«, machte der Vater hartnäckig weiter.
»Kann ich«, log sie weiter. Niemals würde sie zur Bullerei gehen. Selbst wenn er ihr tausend Euro zahlen würde.
»Wir wollten grad schlafen gehen«, meldete sich Lovis zu Wort. »Morgen ist Schule.«
»Du gehst wieder zur Schule?«, fragte der Vater erfreut.
»Klar. Ich richte mal das Gästebett.«
»Dann hol ich Bettwäsche.«
Der Vater folgte Lovis aus der Küche. Jenny stellte das dreckige Geschirr in die Spülmaschine und wischte die Pfanne sauber. Sie würde warten, bis die beiden schliefen, und sich dann aus dem Haus schleichen. Hier konnte sie nicht länger bleiben.
»Wie alt bist du,
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