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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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machen musste …
    Zu Hause turnte der kleine Bruder vor dem Fernseher herum und Jasmin war in ein neues Kreuzworträtsel vertieft. Die Fußbrause, die sie von Jennys Geld gekauft hatte, lag achtlos in einer Ecke. Das Katzenklo stank, die Katzenbabys legten im Flur ein wildes Labyrinth aus Wolle aus, in der Küche lärmte der Kanari. Der übliche Irrsinn.
    Jenny wäre am liebsten wieder davongelaufen. Kurz blitzten die Bilder von der Mädchen-WG in ihrer Erinnerung auf, aber der Weg dahin schien ihr mit einem Mal völlig unmöglich. Wie sollte sie den Absprung schaffen? Wenn sie ging, würde hier alles im Chaos versinken. Sie kam sich vor wie ein Hamster im Rad, auf immer und ewig eingesperrt in dieser dreckigen Wohnung in der Roten Burg mit einer depressiven Mutter und ihrem nichtsnutzigen Bruder.
    Â»Was hast du in der Schule angestellt?«, fuhr sie Joe-Joe an und stellte den Fernseher aus.
    Jasmin blickte erstaunt von ihrem Kreuzworträtsel auf. »Jenny«, sagte sie erleichtert. »Da bist du ja endlich. Ich habe doch so Angst, wenn du nicht da bist.«
    Joe-Joe hüpfte vom Sofa und wollte sich die Fernbedienung zurückholen, die Jenny auf den Sessel gelegt hatte. Jenny erwischte ihn am Arm, bevor er danach greifen konnte. Sie merkte, dass sie so fest drückte, dass es Joe-Joe wehtun musste. »Also!«, zischte sie.
    Â»Emilio hat angefangen«, heulte er auf. »Ich habe mich nur gewehrt.«
    Â»Und was ist bei der Prügelei passiert?«
    Â»Er hat einen Zahn verloren, weil er gestolpert und gefallen ist. Seine Eltern sagen, dass alles meine Schuld ist.«
    Â»Prima«, japste Jenny. »Der Kleine schlägt einem Klassenkameraden einen Zahn aus. Hast du gehört, Mama?«
    Â»Das stimmt nicht«, flüsterte Jasmin. »Joe-Joe ist ein lieber Junge, der schlägt sich nicht. Das ist alles gelogen. Alle lügen uns an, weil sie denken, dass man es mit uns ja machen kann.«
    Plötzlich schrie Jenny los. Ein einziger langgezogener, nicht enden wollender Klagelaut quoll aus ihrem Mund. Sie erschreckte sich selbst vor diesem Schrei. Dann rannte sie aus dem Zimmer und sperrte sich im Bad ein. Die Verzweiflung rüttelte sie durch, und die Tränen, die jetzt kamen, brannten auf den Wangen. Ihre Beine vollführten einen solchen Gummitwist, dass sie sich auf die Klobrille setzen musste. Mit den Zitterfingern gelang es ihr kaum, ihr Handy aus der Hosentasche zu fischen. »SOS«, simste sie an Oma Hilde. »Komm schnell.« Und Frauke schrieb sie: »Ich kann nicht mehr.«
    Irgendwann war alles wieder vorbei. Jenny wischte sich die rot geheulten Augen mit Klopapier und schnäuzte sich einmal kräftig. Dann säuberte sie das Katzenklo, ließ den Kanari in der Küche durch Zudecken des Käfigs verstummen und setzte Wasser für die Tortellini auf. Der leere Kühlschrank ließ sie an Lovis denken. Es gelang ihr einfach nicht, den Jungen aus dem Kopf zu kriegen. Den Blick, mit dem er sie beim Essen beobachtet hatte, das Lachen, als sie »Nobody is perfect« gesagt hatte, den merkwürdigen Kuss, den er ihr auf den Mundwinkel gedrückt hatte.
    Vergiss ihn, riet ihr der Verstand, als sie die Kühlschranktür zuschlug. Einkaufen musst du noch. Im Briefkasten nach der Post vom Jobcenter sehen. Und Mathe lernen. Morgen schrieben sie eine Mathearbeit.
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    Mathe war kein Problem für Lovis. Mathe konnte er gut, bei Russisch sah es ganz anders aus. Er war froh, dass sie direkt in der ersten Stunde einen Mathetest schrieben. Nils hatte ihm gestern noch gemailt, dass der blöde Laumann schon wieder einen Test angesetzt hatte und dass er, Lovis, besser noch einen Tag länger krankfeiern sollte. Aber Lovis hatte dies als idealen Einstieg in den Schulalltag empfunden. Zumindest in der Stunde brauchte er keinen Ton zu sagen und keiner konnte ihn mit neugierigen Fragen nerven. Er durfte rechnen und zeichnen, etwas das er gern tat. Zehn Minuten vor Ende der Schulstunde hatte er alle Aufgaben gelöst und sogar Nils, der mal wieder auf dem Schlauch stand, noch unbemerkt einen Tipp zugeflüstert.
    Dann schrillte die Klingel. Kurze Pause. Aus der Ferne schickten ihm die Mädchen verstohlene Blicke, ein paar von den Jungs beäugten seine »Boxervisage« von Nahem. »Schlimme Sache. Doof gelaufen. Das mit der Stimme ist echt krass«, sagten sie und klopften ihm auf die Schultern. Sie wussten Bescheid. Nils hatte

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