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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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wohnt? Rote Burg? Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte Nils mehr in sich hinein, als dass er mit Lovis sprach.
    Und Lovis erzählte weiter von Jenny, dem schönsten, klügsten und tapfersten Mädchen, dem er jemals begegnet war. Er versuchte, das Grün ihrer Augen, das Rot ihrer Haare und den hellen, fast durchsichtigen Ton ihrer Haut zu beschreiben. Er bedauerte, dass ihm dafür die richtigen Worte fehlten, und er ärgerte sich, dass die Worte, die er fand, beim Sprechen zerkrümelten. Aber der Ärger war nicht allzu groß, denn während er sprach, spürte er, wie sein Herz vor verrücktem Glück und neuer Kraft bollerte. Er hätte Baume ausreißen oder die ganze Welt umarmen können.
    Â»Hey, Alter, jetzt dreh mal nicht ab!«
    Nils’ Augen flackerten vor Besorgnis. Er versteht nicht, was mit mir passiert, dachte Lovis, weil er noch nie in seinem Leben verliebt war. Und für mich ist es auch das erste Mal. Immer haben wir uns darüber lustig gemacht, wenn einer der Jungs plötzlich Rasierwasser benutzte und mit einem Mädchen in der Pause Händchen hielt. Er, Lovis, würde jetzt nichts lieber tun, als mit Jenny Händchen zu halten und noch viel mehr …
    Â»Erinnerst du dich an Sozialwissenschaft letztes Jahr, Thema Jugendbanden?«, fragte Nils unvermittelt. »Dafür haben wir doch ein paar Zeitungsartikel über den Bandenkrieg im rechtsrheinischen Köln gelesen. Und eine dieser Banden kam aus der Roten Burg. Ganz fiese Typen. Absolut üble Gegend. Härtestes Proll-Land. Wenn die Kleine da herkommt, dann lass besser die Finger von ihr. Wenn sie so hübsch ist, wie du sagst, gehört sie bestimmt schon zum Stall von so einem Bandenchef. Und die lassen sich nichts wegnehmen. Wenn du dich mit denen anlegst, dann war die Schlägerei am Friesenplatz ein Zuckerschlecken im Vergleich zu dem, was sie noch mit dir anstellen werden.«
    Lovis lachte. Nils kannte Jenny nicht! Niemals war sie die Braut von so einem Bandenchef.
    Â»Oder«, fuhr Nils mit düsterer Stimme fort, »sie haben das Mädchen auf dich angesetzt. Was glaubst du wohl, warum die so plötzlich bei euch übernachten wollte? Wenn du gleich heimkommst, sieh nach, was fehlt. Die klauen doch alle wie die Raben.«
    Â»Du kennst sie doch gar nicht!« Lovis merkte, wie sehr ihn Nils’ dummes Gerede aufregte.
    Â»Du bist verliebt. Und Liebe macht blind.«
    Danach schwieg Lovis und Nils stänkerte nicht weiter. Ihr Abschied am Ebertplatz geriet so frostig, dass es wehtat. Seit der fünften Klasse war Nils sein bester Freund, noch nie waren sie im Streit auseinandergegangen. Aber es gab für alles ein erstes Mal. Er würde sich von Nils nicht einreden lassen, dass Jenny eine Gangsterbraut oder eine Diebin war. Wenn Nils sie kennenlernte, würde er schnell merken, wie sehr er mit seiner Einschätzung auf dem Holzweg war.
    Und wenn Nils doch recht hatte? Lovis ärgerte sich, dass er diese Frage überhaupt dachte, und noch mehr ärgerte er sich, dass er im Arbeitszimmer sofort die oberste Schreibtischschublade öffnete, in der Gustav immer ein bisschen Bargeld aufbewahrte. Alles da. Die teuren Lithografien im Flur hingen noch an der Wand, die Silbervasen glänzten im Wohnzimmer, sein Laptop, Gustavs großer Rechner, die kleine Bang-und-Olufsen-Stereoanlage, die Fernsehgeräte, alles stand auf seinem Platz. Jenny hatte nichts geklaut.
    Zu gern wollte er trotzdem wissen, warum sie sich heute Morgen ohne ein Wort aus dem Staub gemacht hatte. Es hatte ihm einen Stich ins Herz versetzt, als er nach dem Aufstehen nur noch das ordentlich gemachte Bett und das gefaltete T-Shirt, aber keine Jenny im Arbeitszimmer vorgefunden hatte. Doch unter dem T-Shirt entdeckte er ein Post-it-Zettelchen, auf dem stand: »Von Jenny für Lovis – danke!«
    Beides, das T-Shirt und das Zettelchen, hatte er unter sein Kopfkissen gelegt, beides fischte er jetzt heraus, las den Zettel wieder, betrachtete Jennys große, runde Buchstaben und roch an dem T-Shirt, das noch ein wenig nach ihr duftete. Dann aktivierte er die SMS-Funktion des Festnetztelefons und simste »Schwimmen? Heute Abend im Waldschwimmbad?«. Er gab Jennys Handynummer ein. Für sie, konnte er sich vorstellen, würde er sich auch ein Handy zulegen.
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    Unbarmherzig schlug Jenny die Hitze des Sommertages entgegen, als sie mit Rintintin auf den Platz vor der Roten

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