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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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seine Gitarre verkabeln.
    Â»Bist du so weit?«, blaffte Vera ins Mikro.
    Lovis nickte und spielte das Intro. Veras Einsatz kam zwei Takte zu spät. Noch mal von vorne. Diesmal verspielte er sich. Zurück auf Anfang. »Dritter Versuch«, stöhnte Vera ins Mikrofon. Beim fünften Mal schafften sie es, das Stück bis zum Ende durchzuspielen. Das war aber auch alles. Vier minus, bei sehr viel gutem Bewertungswillen, urteilte Lovis, als er seine Gitarre in den Koffer packte.
    Â»Ist die Generalprobe scheiße, dann wird die Premiere gut«, rief Nils von unten.
    Â»Mach dir nichts draus«, sagte auch Konrad, als Lovis ihm das Kabel zurückgab. »Kannst ja nichts dafür, dass dir der Überfall das Gehirn vernebelt hat. Aber, mal ehrlich, Lovis. Musst du dich deswegen direkt mit einer Proll-Tussi einlassen? Ich meine, das hat doch keinen Stil. Obwohl, beim Vögeln sollen die ja nicht schlecht sein, hab ich gehört. Stimmt das?«
    Arschloch wollte Lovis sagen, aber er wusste, dass er das Wort nicht stotterfrei herausbrachte, also ließ er es. Konrad konnte nur durch Vera von Jenny erfahren haben. Wer weiß, was für gemeine Geschichten die hinterlistige Schlange erfunden hatte. Er traf sie, als er durch die Kulissen zurück zur Treppe stolperte.
    Â»Du kannst u-u-unseren Au-Auftritt knicken«, sagte er und drängelte an ihr vorbei.
    Â»Hab ich auch grade sagen wollen« zickte sie zurück. »Meinst du etwa, ich will mit so einem Trauerkloß auf der Bühne stehen? Einem, der mit so einem billigen Flittchen herummacht?«
    Er hängte sich die Gitarre auf den Rücken und zeigte ihr den Stinkefinger, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen.
    Â»Und dein Stottern geht mir auch tierisch auf den Keks. Ist echt superpeinlich, dass du nicht einen Satz fehlerfrei rausbringst«, schrie sie ihm hinterher.
    Lovis reagierte nicht. Er verließ die Aula, er verließ das Schulgebäude, ging nicht an den Getränkestand zurück, sondern drehte auf dem Hof direkt die Kurve nach draußen und schlug auf der Straße den Weg in Richtung U-Bahn-Station ein. Dass Konrad einer war, der anderen gern an den Karren pisste, war nichts Neues. Aber Vera? Es hatte sie nicht gestört, wenn er ihr beim Tanzen auf die Füße getreten war oder dass er zum Abschlussball in Jeans gekommen war. Mit der hatte er doch immer so toll herumalbern können. Er hätte sie immer als Freundin bezeichnet, aber jetzt zeigte sie ihm ihr wahres Gesicht. Aus und vorbei. Nichts mehr, absolut gar nichts mehr, wollte er mit ihr zu tun haben.
    An der sehr überschaubaren Anzahl von Leuten, die an der Haltestelle auf die Bahn warteten, merkte er, wie früh es noch war. Grade mal halb zehn zeigte die Uhr an, da schliefen die meisten noch oder ließen sich ein gemütliches Samstagsfrühstück schmecken. Auch die Bahn war halbleer, ohne sich umzusehen pflanzte er sich auf den nächsten freien Platz. Falsche Entscheidung. Keine zwei Reihen weiter hockte Diana Krumholz, diesmal in knallgelben Walle-Walle-Gewändern. Die Zwergin fehlte ihm jetzt grade noch! Zum Glück war sie in ein Buch vertieft und hatte ihn gar nicht bemerkt. Er wollte sich schnell aufmachen, um im hinteren Teil des Wagens aus ihrem Blickfeld zu verschwinden, doch dann entschied er sich anders. Er blieb sitzen und wartete darauf, dass sie aufblickte. Das tat sie erst zwei Stationen später. Ein freundlicher Blick, ein kurzes Nicken, dann tauchte sie wieder in ihre Lektüre ein. Lovis nahm all seinen Mut zusammen, stand auf, ging die vier Schritte und setzte sich ihr gegenüber.
    Â»E-e-entschuldigung. Was muss i-ich tun, damit e-es mit dem Stottern besser wird?«, fragte er leise.
    Die Zwergin sah auf und legte ihr Buch umgekehrt auf ihre Walle-Walle-Gewänder.
    Â»Den Anfang hast du schon gemacht«, antwortete sie. »Du redest mit mir.«
    Â»Reden?« Lovis verzog angewidert das Gesicht. »Stottern doch e-e-eher.«
    Â»Ja«, sagte sie ruhig, legte ein Lesezeichen in ihr Buch und klappte es zu. »Stottern. Du bist ein Stotterer und du bleibst ein Stotterer. Das ist eine Schwäche oder ein Defekt, der immer wieder zum Ausbruch kommen kann. Auch wenn es uns in der Therapie gelingt, ihn über weite Strecken unsichtbar zu machen.«
    Â»Tolle Au-Au-Aussichten!«, spottete Lovis.
    Â»Sind es«, antwortete die Zwergin ganz ernsthaft. »Einer, der mit seinen Schwächen

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