8 Tage im Juni
Weg hinunter zum Fluss. Der Krach der StraÃe verebbte mit jedem Schritt und bald hörte man ihn gar nicht mehr. Stattdessen das sanfte Plätschern der Sieg, das Rauschen der Bäume und das Schnattern einer Entenfamilie auf dem Wasser, der Rintintin vom Ufer aus nachjagte. Es war wirklich schön hier. Idyllisch. Ruhig. Wenn nicht â¦
»Toni«, sagte Jenny, die Rintintin zurückpfiff und wieder auf ihn wartete. »Den Psychopathen und den Bären kenne ich nicht.«
»Psychopath habe i-i-ich den ei-einen au-auch genannt«, stotterte Lovis doppelt überrascht. Zum einen, weil Jenny jetzt redete und zum anderen, weil sie beide bei diesem einen Schläger an das Gleiche gedacht hatten. »Toni i-i-ist der mit der Zahnlücke?«
»Ja. Er wohnt bei mir in der Siedlung. Ich habe schon im Sandkasten mit ihm gespielt.«
»Du hast i-i-ihn bereits a-am Friesenplatz e-erkannt?«
»Was glaubst du wohl, warum ich mich versteckt habe? Was glaubst du wohl, warum ich so lange gewartet habe, bis ich die Bullerei rief?«
Ihre Stimme klang hart, aggressiv, war voller Dampf. Dampf, der rauswollte.
»Ich hab gedacht, die wollen dein Handy und deine Knete und dann lassen sie dich in Ruhe. Ich meine, wer hat heute kein Handy? Ich habe gedacht: Wie blöde ist der Typ? Ja und dann ist alles ganz schnell gegangen. Wie die auf dich eingeprügelt haben, drei gegen einen, eine Schweinerei. Ich bin hinter der Betonsäule hin- und hergetitscht wie ein Pingpong-Ball, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Mit der Bullerei will ich nämlich nie und niemals was zu tun haben. Das bedeutet immer Ãrger.«
»Jenny«, setzte Lovis an und wollte ihr sagen, dass er sie verstand, dass ihm der Kontakt zur Polizei auch unangenehm war, aber sie schnitt ihm das Wort ab. Oh, sie musste noch sehr viel mehr Dampf ablassen.
»Hab sie trotzdem angerufen, die Bullerei. Verstehst du? Und dann habe ich dich auf den Bahnsteig gezogen und bin abgehauen. Du warst am Leben, ich war am Leben, ich wollt mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Und das war gut so!«
Bis ich aufgetaucht bin, dachte Lovis. Es überraschte ihn, wie gegensätzlich sie nach dem Ãberfall reagiert hatten. Er wollte Jenny unbedingt wiedersehen, sie auf keinen Fall etwas mit ihm zu schaffen haben. Und noch erstaunlicher fand er, dass es trotz dieser Ausgangsbedingungen zwischen ihnen gefunkt hatte.
»Und da schickst du mir diesen Brief und dieses Lied â Jennifer! Ich hätte es dir am liebsten um die Ohren gehauen und gleichzeitig habe ich vor Rührung geheult. Hätte dich aber trotzdem nicht angerufen. Hab doch gewusst, dass es kompliziert wird! Und ich bin überhaupt nicht scharf auf zusätzliche Probleme! Von denen habe ich nämlich mehr als genug! Und dann habe ich gedacht, mich trifft der Schlag, als ich in unserem Hausflur mit dir aneinandergerasselt bin. Tauchst so mir nichts, dir nichts bei mir auf. Springst einfach in mein Leben hinein.«
»U-und du i-in meines!«, warf Lovis ein. Weil es ja stimmte. Erst hatte sie ihn gerettet und dann hatte sie ihm den Kopf verdreht. Chaos und Probleme, damit konnte er auch dienen! Aber Jenny bot ihm keine Gelegenheit dazu. Geladen bis unter die Haarspitzen lief sie wie eine kleine Kraftmaschine vor ihm auf und ab.
»Du machst mir nur Probleme! Wir passen überhaupt nicht zusammen! Kommen aus ganz verschiedenen Welten. Rote Burg und Blumental und dazwischen das Waldschwimmbad. Aber das Leben ist kein Waldschwimmbad!«
Alle Fremdheit war weg. Sein Misstrauen und sein Ãrger zerbröselten zu Staub, lösten sich in Luft auf. Das Waldschwimmbad. Jenny hatte ihm nichts vorgespielt, die Küsse, die Umarmungen, die Blicke, alles war echt gewesen, war immer noch echt. Mit einem Schlag lag wieder Liebe in der Luft. Hüpfen und springen wollte er, die Welt umarmen. Jenny, seine Jenny! Er zog sie zu sich heran, nahm ihr Gesicht in beide Hände, wollte sie küssen, aber Jenny schob ihn zurück, kochte immer noch.
»Wenn wir schon Tacheles reden, dann richtig! Was war los mit dir an dem Tag, als Vera bei dir war? Als du mich auf der Treppe abgefertigt hast wie ein billiges Dienstmädchen?«
»Ich hab dich mit Toni gesehen. Am Wiener Platz, nach dem Waldschwimmbad. Bin dir nachgelaufen, du hast nämlich dein Mathebuch vergessen. Hab gedacht, du steckst mit dem Kerl u-unter ei-einer Decke. Hab gedacht, du er-erzählst
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