80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
anhalten zu können, um für den Rest meines Lebens sein tiefes kehliges Lachen zu hören, seinen Blick zu erwidern und auf den Moment zu warten, wenn ich in seinen Augen den Wandel von weich und warm zu hart und grausam sah. Dann nahm er meine Handgelenke, die er gerade noch sanft gestreichelt hatte, fesselte mich ans Bett und flüsterte mir schmutzige Dinge ins Ohr.
Ich wälzte mich in Gedanken noch immer mit ihm in den Laken, als ich in die erstbesten Klamotten schlüpfte und zur U-Bahn rannte. Susan würde wahrscheinlich schon auf mich warten.
Wie bei unserem letzten Treffen war sie auch diesmal perfekt gestylt. Egal, ob sie am Abend ausging oder mit einer Klientin Kaffee trank, Susan sah stets wie die erfolgreiche Geschäftsfrau aus. Ihr Etuikleid hatte einen raffinierten Schnitt, und seine meergrüne Farbe passte hervorragend zu ihrem kastanienbraunen Haar. Als Schmuck trug sie eine dicke goldene Chanel-Kette. Sie beschäftigte sich gerade mit ihrem Blackberry, und ihre Finger flogen so rasch über die Tastatur wie die einer Pianistin.
»Da haben wir wohl verschlafen«, meinte sie leicht angesäuert, als ich mich auf den Barhocker neben ihr setzte. Sie hatte mir bereits einen Kaffee bestellt, der inzwischen kalt geworden war. Ich trank ihn trotzdem.
»Tut mir leid.« Ich wurde rot. Es gab nichts, was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen konnte.
»Schön, dich zu sehen, Madam Rockstar«, sagte sie, jetzt mit einem warmen Lächeln. Sie küsste mich auf beide Wangen. »Wie ich höre, hast du deine Geige wieder?«
»Ja!«, rief ich begeistert aus.
»Und bist du bereit, damit aufzutreten?«
»So bald wie möglich.«
»Freut mich zu hören. Dann kann ich wenigstens die Zeitung aufschlagen, ohne mich fragen zu müssen, auf welcher Seite diesmal über dich berichtet wird.«
Die Groucho Nights waren wieder einfach nur die Groucho Nights, ohne Gastmusiker, und wenn ich auch nicht ausschließen wollte, dass ich irgendwann erneut mit ihnen spielte, fieberte ich dem klassischen Repertoire geradezu entgegen.
Ich erzählte Susan von meiner Idee, ein Album mit Stücken neuseeländischer Komponisten aufzunehmen, und sie zeigte sich angetan. Der Exportmarkt war nicht zu unterschätzen.
Die Klänge meiner Heimat. Es kam mir so folgerichtig vor. In den vergangenen Jahren war ich ruhelos durch die Welt gezogen und unversehens von einer Situation in die nächste geraten wie die Kugel eines Flipperautomaten. Nun aber, da ich wieder mit Dominik und meiner Bailly vereint war, hatte ich zum ersten Mal in meinen Leben das Gefühl, zur Ruhe zu kommen. Es schien mir auch der richtige Zeitpunkt, mich mit meinen Wurzeln zu befassen, so wie ich es mit den venezolanischen Improvisationen für Simón versucht hatte, als wir zusammen waren. Diesmal ging es jedoch nicht um die Herkunft eines anderen, sondern um meine eigene. Ich würde die Landschaften meiner Heimat heraufbeschwören und ihre Stimmungen auf meine Weise wiedergeben.
Dafür gab es kein besseres Instrument als die Bailly. Wenn ich daran dachte, wurde mir ganz schwindelig. Nachdem ich sie zunächst überschwänglich in die Arme geschlossen hatte, hatte ich sie erst einmal vorübergehend vergessen. Denn da war ja Dominik. Ich hatte mich der Berührung seiner Haut, seinen entschiedenen Befehlen, dem Klang seiner Stimme ergeben. Wieder mit ihm zusammen zu sein, ihn in mir zu spüren, hatte mich so glücklich gemacht, dass die Geige einen ganzen Tag und eine Nacht unbeachtet dalag, während wir uns neu entdeckten.
Doch als wir schließlich unseren ersten Hunger aneinander gestillt hatten, hatte ich mich auf das Instrument gestürzt. Dominik hatte bei meinem Gesichtsausdruck laut gelacht. Strahlend wie ein Kind bei der Weihnachtsbescherung hatte ich die Bailly aus ihrem Kasten genommen, die Hand über das honigfarbene polierte Holz gleiten lassen und sie gestimmt. Und dann hatte ich die Musik gespielt, die in unserer Beziehung eine besondere Rolle bekommen hatte – Vivaldi natürlich. Als ich mich in die Motive der einzelnen Jahreszeiten vertiefte, dachte ich an die Tage, die verstrichen waren, und die Tage, die noch vor uns lagen. Das Leben ging weiter, die Zeit floss dahin, die Dinge änderten sich – doch immer wieder gab es etwas Besonderes und Schönes, das sich unversehens auftat. Ich endete mit den unbeschwerten Melodien des »Frühlings«.
Mein Koffer war erst halb voll, und mit den Kartons hatte ich noch nicht einmal angefangen, als ich die Haustür quietschen
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