80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
zusammen war. Daraufhin hatte er mich spontan angerufen. Dass ich nur höchst ungern telefonierte, hatte Simón stets amüsiert. Und genau deshalb hatte er mich, als wir zusammen waren, immer angerufen, statt eine SMS oder eine E-Mail zu schreiben. Oft war es um Banales gegangen, zum Beispiel hatte er wissen wollen, wann ich zum Essen nach Hause komme, oder er hatte mich gebeten, vom koreanischen Lebensmittelladen um die Ecke noch Milch mitzubringen.
Da ich annahm, es sei Susan, die sich erkundigen wollte, wie ich im Studio vorankam, griff ich ohne nachzudenken zum Hörer. Ich ließ mir nämlich gerade von Viggo bei den Vorbereitungen für die Aufnahmen meines Neuseeland-Albums helfen. Tag für Tag fuhr ich ins Studio und übte auf der Bailly, um mich nach meinem Abstecher in den Rock wieder auf die klassische Musik einzustimmen. Mit einer anderen Geige hatte mir das nicht gelingen wollen; Dominiks Geschenk aber lag so perfekt in meinem Arm, dass es mir fast schien, sie würde singen, sobald ich sie in die Hand nahm.
»Hallo, du!«, rief Simón, als ich mich meldete. Diese zwei Worte waren seine gewohnte Begrüßung und eine Art Code zwischen uns beiden. Sie bedeuteten: »Hallo, wie geht es dir? Ich bin zu Hause«, und tausend Dinge mehr.
»Simón?«
»Hast du mich schon vergessen?«
»Geht es dir gut?«, fragte ich. »Bist du wieder in New York? Beim Orchester?«
»Nicht ganz. Nur kurze Stippvisite. Ich werde auf Dauer nach Venezuela zurückkehren.«
»Als Dirigent in Caracas?«
»Nein, bei der Regierung. Ob du es glaubst oder nicht, ich werde Kultusminister.«
»Wow! Ich gratuliere. Dann kannst du ja in offizieller Funktion ganz oft zum Bullenreiten gehen.«
»Wöchentlich. Außerdem werde ich mir mit den vielen Kokosnuss- und Karamelldesserts einen Wanst anfuttern.«
»Klingt, als hättest du es gut getroffen.«
»Du musst mich mal besuchen kommen. Mit Dominik«, fügte er rasch hinzu. »Susan hat mir erzählt, dass ihr wieder zusammen seid. Und über deine musikalischen Abenteuer bin ich natürlich ebenfalls auf dem Laufenden.«
»Das Ganze war ziemlich aufregend.«
»Es würde sicher ein gutes Buch abgeben.«
Da er beinahe ins Schwarze getroffen hatte, musste ich schmunzeln. »Dominik schreibt gerade wieder eins. Er hat mir allerdings versprochen, dass es diesmal nicht von mir handeln wird, sondern von der Bailly.«
»Dachte ich’s mir doch, dass er an einem neuen Roman sitzt. Dann inspiriert er dich also zu Melodien und du ihn zu Worten.«
»So habe ich das noch nie gesehen. Aber du hast wohl recht.«
»Ihr seid füreinander geschaffen, das habe ich schon immer gewusst. Das mit uns war aussichtslos.«
Da er das voller Wärme und Humor sagte, lachte ich. Simón hatte gern recht. Das war mit einer der Gründe, weshalb wir uns getrennt hatten.
Während wir miteinander sprachen, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass etwas definitiv zu Ende ging. Ich war froh, dass er so heiter klang, denn obwohl er unsere Beziehung beendet hatte, war es mir immer so vorgekommen, als wäre es meine Schuld gewesen.
Je mehr ich darüber grübelte, desto größer wurde meine Angst, einen Fehler gemacht zu haben, als ich bei Dominik einzog. Den gleichen Fehler wie damals mit Simón. Ich war nun einmal nicht der häusliche Typ. Mit Simón hatte ich mich wie in einer Falle gefühlt. Wer garantierte mir, dass es mir nach einigen Monaten, in denen ich Tag für Tag mit Dominik das Haus teilte, nicht genauso erging?
Wenn unser Zusammenleben gut lief, würde es der Himmel auf Erden sein – all das, was ich mir von einer Beziehung immer erträumt hatte.
Aber wenn nicht, dann würde es alles zerstören.
In seinem Roman hatte Dominik jetzt den Zweiten Weltkrieg mit seinem Blutvergießen hinter sich gelassen und war bis Ende der 1960er-Jahre vorgedrungen, als Edwina Christiansen in die Ahnenreihe der unglücklichen Heldinnen und Besitzer der mit einem Fluch belegten Violine eintrat.
Edwina lebte als alleinerziehende Mutter in Hannover. Ihr Sohn war die Folge einer unbedachten Affäre in ihrer Hippiephase, die sie mit gerade mal Anfang zwanzig eingegangen war. Nach ihrer Rückkehr aus San Francisco nach Deutschland hatte sie Helmuth Christiansen geheiratet, einen Schiffsausrüster in Hamburg. Doch die Ehe scheiterte, für einen Freigeist wie sie war er zu spießig und der Altersunterschied zu groß. Sie zog mit ihrem kleinen Sohn zurück nach Hannover, wo sie als technische Leiterin und Gewerkschaftsvertreterin in einer
Weitere Kostenlose Bücher