80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
einschlafen.
Hellwach lag ich den Rest der Nacht da und dachte über die Zukunft nach. Was sie uns wohl bringen würde?
Konnten wir es schaffen? Oder war es ein Fehler gewesen, so schnell bei ihm einzuziehen?
Das würde sich erst mit der Zeit herausstellen.
Als ich vorhin durch den Eingangsflur gegangen war, war mein Blick freudig auf die Bailly gefallen, die ich am Abend zuvor dort abgestellt hatte. Es hatte mich in den Fingern gejuckt, sie in die Hand zu nehmen und zu spielen, bis mich die Müdigkeit wie ein schwerer Umhang umfangen und ich erschöpft in den Schlaf fallen würde. Doch ich hatte gefürchtet, Dominik mit meiner Musik sogar bei geschlossener Tür aus seiner kreativen Trance zu reißen, sodass er ihr wie einem Sirenengesang folgte.
Manchmal kam ich mir vor wie der Rattenfänger von Hameln, so eine Anziehungskraft hatte der Klang der Bailly auf ihn. Inzwischen hörte er ihr sogar an, welcher Stimmung ich war. Außerdem war mir aufgefallen, dass er mittlerweile schon gewohnheitsmäßig schaute, wo ich die Bailly abgestellt hatte, um sich zu vergewissern, dass sie dort auch in Sicherheit war, ehe er das Licht ausmachte.
Ich hatte mir die Geschichte der Angélique erzählen lassen, die die Grundlage für seinen Roman bildete. Mich hatte die Vergangenheit meiner Instrumente schon immer interessiert, denn ich wollte wissen, in welchen Händen sie einst gewesen waren und was sie erlebt hatten, bevor sie in meinen Besitz gelangten. Allerdings hatte ich keinen so romantisch verklärten Zugang dazu wie Dominik, und ich hänselte ihn wegen seines Aberglaubens.
Hatte denn der Mensch, der die Geige spielte, nicht weit mehr Macht als das bloße Instrument?
Selbst Mr. van der Vliet, mein verstorbener Geigenlehrer, hatte mir immer wieder erklärt, dass der richtige Musiker mit allem Möglichen Musik machen könne, und wenn er nur ein Stück Holz an einem Sägeblatt reibe.
Da kam mir die Idee. Meine Grübeleien über die Bailly, über Märchen und Legenden hatten den Keim gelegt. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, und ich heckte einen Plan aus.
Eilig zog ich mich an. Ich streifte das alte Samtkleid über, das ich vor Jahren in der Brick Lane gekauft hatte und noch immer hin und wieder bei Auftritten trug – das Kleid, in dem ich zum ersten Mal für Dominik musiziert hatte. Mir war nostalgisch zumute.
Dann schnappte ich mir die Bailly. Doch da bemerkte ich die erste Hürde. Ich musste ihm irgendeinen Hinweis geben. Aber welchen?
Als ich den Geigenkasten öffnete und mit den Fingern über das rostgelbe Holz in der warmen Farbe eines Sonnenuntergangs strich, hoffte ich, das Instrument würde mir eine Antwort geben.
Die Geige schwieg, aber ich fand die Lösung in ihrem Kasten. Denn die Innentasche wölbte sich, und als ich mit der Hand hineinfuhr, fühlte ich die Gitarrenplättchen mit dem Groucho-Nights-Logo, die wir immer ins begeisterte Publikum geworfen hatten.
Perfekt. Damit würde ich eine Spur nach Hampstead Heath legen. Doch meine Art der Brotkrumen würde ihn nicht zu einem Knusperhäuschen führen, sondern zu mir.
Um sicherzugehen, dass er zumindest eine Chance hatte, seine Aufgabe zu erraten, legte ich einen alten Bogen quer über die Türmatte. Er zeigte in die Richtung, in die ich gehen und wo er das erste Plättchen finden würde.
Als ich die Straße zum Park hinunterlief, dämmerte bereits der Morgen. In glühendem Orange erhob sich die Sonne über den Bäumen am Horizont und schickte rosafarbene Strahlen wie Fühler in den Himmel. Da ich nur selten so früh wach war und zudem kaum geschlafen hatte, fühlte ich mich wie in einer Traumwelt, in der Vogelgezwitscher und das leise Knarzen der Bäume im Wind durch die kühlen Dunstschleier drangen.
Sorgfältig achtete ich darauf, überall dort, wo Dominik hinschauen würde, ein Plättchen fallen zu lassen. Ich folgte demselben Weg, den er mich damals entlanggeführt hatte. Wieder war ich barfuß, und als ich wie damals die feuchte Erde unter meinen Füßen spürte, musste ich lächeln.
Nach den Teichen ging es über den Steg bei der Badestelle den Kiesweg hoch. Scharfe Steinchen bohrten sich in meine Fußsohlen, und ich zuckte immer wieder zusammen. Gewissenhaft platzierte ich eines der Gitarrenplektren auf einem großen schwarzen Stein, der zwischen den kleineren, helleren herausragte, sodass er Dominik ins Auge fallen musste. Ab hier würde er bestimmt wissen, wohin ich ihn führte. Zwar war ich den Weg seit jenem lang zurückliegenden
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