80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
Schlamassel. Als wäre ihm völlig der Plan für seinen Roman abhandengekommen, als säße er in einem Zug, dessen Gleise ins Nirgendwo führten.
»Hey!«
Lauralynn musterte ihn fragend.
»Wach auf, Dominik!«
»Tut mir leid. Ich war in Gedanken.«
»Wegen des Buchs?«
»Ja, scheint so.«
»Dann erzähl mir davon. Welche Geschichte schwebt dir vor? Vielleicht siehst du dann klarer.«
Dominik ärgerte sich. Sie war Musikerin. Sie verstand es, ein fertiges Werk zu interpretieren, konnte aber nichts Neues schaffen. Was wusste sie schon? Doch dann wurde ihm klar, wie unfair das war. Sie versuchte doch nur zu helfen.
»Ich habe noch keine Geschichte. Und auch kein Gerüst, in dem ich die Figuren ansiedle, oder die Örtlichkeiten«, gestand er. »Mir will einfach nichts einfallen. Was ich mir ausdenke, klingt abgedroschen, ist schon hundertmal beschrieben, und das zweifellos besser. Ich krebse herum. Brauche ein Thema, eine Handlung«, sagte er.
»Eine Handlung?«, wiederholte sie. Sie riss die Augen auf. Erst jetzt schien ihr die ganze Dimension seines Problems bewusst zu werden.
»Ja.« Er seufzte.
Das Klingeln an der Haustür rettete ihn. Durch das Küchenfenster sah er den roten Lieferwagen des Paketdiensts. Wahrscheinlich weitere Bücher, die er für seine ausufernde Recherche bestellt hatte.
»Ich gehe schon.«
Er lief die Eingangsstufen hinunter und nahm mit seiner Unterschrift die Lieferung entgegen, ohne dem Paketmann auch nur ins Gesicht zu sehen. In dem leichten Päckchen waren ein Führer über das Berliner Nachtleben und ein Roman, der in den Sechzigerjahren in dieser Stadt spielte. Er hatte beides vor einer Woche mit einem Click im Internet bestellt, als er mit dem Gedanken spielte, seine Geschichte in der deutschen Hauptstadt anzusiedeln. Bereits am nächsten Tag hatte er es als dumme Idee verworfen. Weder war er jemals in Berlin gewesen, noch sprach er deutsch.
Er stellte den braunen Karton neben seine schlammverkrusteten Turnschuhe auf den Boden, die er am Vortag nach seiner Rückkehr aus dem Park dort stehen gelassen hatte.
In einer Ecke im Flur stand Lauralynns großer, schwerer Cellokasten, verziert mit Aufklebern und Reiseandenken heimischer und ausländischer Hotels, mit Backstage-Karten und anderen Erinnerungsstücken, die sie sorgsam auf der Außenseite angebracht hatte.
Einer der Aufkleber löste sich ab, fiel ihm auf. Es war ein Werbesticker für den Zauber des Grandhotel Royal e Golf in Courmayeur. Wo das wohl lag? In der Schweiz oder in Italien, überlegte er. Wann war Lauralynn denn dort gewesen? Es war ein Wintersportgebiet, wo es wohl kaum eine großartige Musikszene gab. Vielleicht sollte er sie fragen.
Mit wachsender Neugier betrachtete er die bunte Stickersammlung auf ihrem Cellokasten.
Ideen kommen meist unvermutet. Anfangs ergeben sie keinen Sinn. Fallen einem ohne Vorankündigung in den Schoß. Halten sich nicht an die Regeln von Logik und Vernunft.
Es war, als würde es klick machen.
Das Instrument. Seine Reisen. Die Ereignisse, die sich hinter all den Stickern, der Hotelwerbung, den Aufklebern und den abgerissenen Resten von Gepäckzetteln der Fluglinien verbargen.
Da war sie, Dominiks Geschichte.
Die Handlung, die ihm nicht hatte einfallen wollen. Die ganze Zeit über war er blind gewesen für das, was auf der Hand lag.
Es musste sich nicht immer um Personen handeln.
Sein Paris-Roman hatte eine an Summer angelehnte Figur als Hauptperson gehabt.
Und diesmal könnte er das Instrument in den Mittelpunkt rücken. Die Bailly, die er ihr gekauft hatte.
Die Geige.
Die Geschichte einer Geige.
3
IT’S ONLY ROCK ’N’ ROLL
»Ich wusste es doch immer, stille Wasser sind tief«, sagte Fran mit einem verschmitzten Augenaufschlag in meine Richtung.
Sie hatte es sich auf der Rückbank bequem gemacht und ihren Kopf beinahe an Chris’ Schulter gelegt.
Wir sausten in einem Taxi durch die Innenstadt von London, auf dem Rückweg zu seiner Wohnung in Camden Town. Ich war fürs Erste bei ihm untergekrochen, nur bis ich etwas Eigenes gefunden hatte, und teilte mein Zimmer mit Fran, die in London auch erst noch Fuß fassen musste. Im Vergleich zu dem weitläufigen Apartment, das ich in New York mit Simón bewohnt hatte, lebte ich also nun in ziemlich beengten Verhältnissen. Aber bislang waren wir ganz gut miteinander ausgekommen.
Es war früher Sonntagmorgen, und wir kamen vom Valentinsfest im Torture Garden, wo wir drei unser Singledasein ausgiebig gefeiert hatten.
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