80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
und Müttern mit quengelnden Kleinkindern und schaute gleichmütig in den Regen hinaus.
Eine der Frauen ganz am Rand hatte ihre Bluse aufgeknöpft und gab ihrem Baby die Brust. Der Kopf des Säuglings war von einem zarten Rosa und fast völlig kahl, sein Gesicht hatte er in komische Falten gelegt, sei es vor Konzentration oder einfach nur aus Müdigkeit. Dominik betrachtete die beiden fasziniert. Er konnte die Augen nicht abwenden, bis die Mutter seinen Blick bemerkte und ihn zornig anfunkelte. So blieb ihm nichts anderes übrig als sich umzudrehen, die Rampe hinunterzugehen und in den schon wieder nachlassenden Regen zu treten. Er war wütend auf sich selbst, aber auch verärgert, dass er den Zauber dieses Orts mit all den Fremden teilen musste.
In der Nacht zuvor hatte Lauralynn jemanden mit nach Hause gebracht.
Obwohl ihr Schlafzimmer in einer anderen Etage lag als seins, hatten ihn die Geräusche der beiden Frauen fast die ganze Nacht am Schlafen gehindert: ersticktes Stöhnen, spitze Schreie, gedämpftes Grummeln vor Lust oder Schmerz, unver ständliche Worte, halb geflüstert oder beim Höhepunkt der Wonne herausgestoßen, eine ganz eigene Sinfonie der Lust.
Dominik erhaschte einen Blick auf Lauralynns Besucherin, als er am nächsten Morgen spät zum Frühstück herunterkam und das Mädchen gerade gehen wollte: eine grungige Straßengöre mit pechschwarz gefärbtem Haar, das dilettantisch mit einer stumpfen Schere zu einem kurzen Bob geschnitten war. Dazu trug sie eine furchteinflößende silberne Totenkopfkette, die ihren Kopf wie ein Kragen vom Rest des Körpers trennte, und ein Dickicht verblasster Tattoos, die sich an ihrem rechten Bein hinunterschlängelten. Wie gut, dass Lauralynn ihn nicht dazugebeten hatte.
Lauralynn, die nichts weiter trug als seidene French Knickers und ein offenes Herrenhemd, als sie ihre Freundin an die Tür begleitete, kam in die Küche zurück und reichte Dominik einen Becher frisch gebrühten Kaffee.
»Ist sie neu?«, fragte er, als er den Becher entgegennahm.
»Ja. Hab sie bei einem Konzert kennengelernt«, erklärte Lauralynn.
»Sie sieht nicht gerade aus wie ein Klassikfan«, bemerkte Dominik.
»Natürlich nicht, sie steht auf Rock. Sie hing mit ein paar Typen rum, für die ich im Studio Cellopartien eingespielt habe. Neopunks, oder wie sie sich nennen. Die hatten mich zu ihrem Auftritt in Camden Town eingeladen, und sie war auch da.« Lauralynn lächelte gedankenverloren. »Und so ist es eben passiert.«
»Auf was du so alles Appetit hast, wundert mich immer wieder«, stellte er fest.
»Ich probiere eben gern mal was Neues aus. Allerdings war mir klar, dass sie nicht dein Typ ist. Deshalb habe ich dich nicht geweckt.«
»Dafür meinen heißen Dank.«
Dominik trank einen Schluck, hätte ihn jedoch beinahe wieder ausgespuckt. Lauralynn hatte keinen Zucker hineingetan.
»Vorsicht …«
»Was hast du heute vor?«, erkundigte er sich.
»Gegen Mittag muss ich für Aufnahmen ins Studio nach Willesden. Ich bin noch die ganze Woche gebucht. Die Jungs von der Band wissen noch nicht genau, wie sich ihr Sound anhören soll. Sie brauchen ein Cello, weil der Bassist irgendwie eine ›Eleanor Rigby‹-Stimmung reinmischen will, oder so.«
Dominik nickte, hörte ihrem Wortschwall zu.
»Es ist leicht verdientes Geld«, fuhr sie fort. »Also kein Grund zu klagen. Die meiste Zeit lese ich Zeitschriften und werde dafür nach Tarif bezahlt. Und du? Kommst du gut voran mit deinem Buch?«
Dominik hatte den Beatles-Song seit Ewigkeiten nicht mehr gehört und dachte einen Moment darüber nach, ob darin ein Cello zu hören war. War es nicht eher eine ganze Gruppe von Streichern?
»Nicht besonders«, gab er zu, während er plötzlich in Gedanken »Eleanor Rigby« stumm vor sich hin summte.
Lauralynn nahm die leeren Kaffeebecher, trug sie zum Becken und spülte sie aus, ehe sie sie in die Spülmaschine stellte.
»Wenn du jemanden brauchst, der sich deinen Text einmal ansieht, sag es. Ich könnte dir helfen.«
»Hm.« Dominik tat so, als wollte er darüber nachdenken.
»Dein Paris-Roman hat mir gefallen«, fuhr sie fort. »Sehr sogar. Und das sage ich nicht nur, weil wir Freunde sind.«
Dabei hatte er nichts Vernünftiges, das er ihr zeigen konnte. Unvollständige Begegnungen, Fragmente, grobe Abrisse wahlloser Figuren, Beschreibungen von Dingen und Orten, fast schon ordinäre Sexszenen mit gesichtslosen Charakteren, die nicht einmal ihn als Verfasser fesseln konnten. Welch ein
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