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80 Days - Die Farbe der Lust

80 Days - Die Farbe der Lust

Titel: 80 Days - Die Farbe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Jackson
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mein Bewusstsein abgeschaltet, Geist und Körper auf Autopilot gestellt.
    Als ich irgendwann die Augen aufschlug und mich umsah, waren die meisten Gäste gegangen und die Nachzügler gerade erhitzt dabei, sich die Kleider zu richten. Mitten im Raum hockte der Kreis von uns Sklavinnen, beschmutzt, müde und stumpf.
    Jemand tätschelte mir den Kopf, als wäre ich ein Schoßhund.
    »Gut gemacht, Summer. Sehr vielversprechend, dein erster Auftritt.«
    Victor.
    Seine Bemerkung überraschte mich. Ich war innerlich auf Distanz gegangen, unbeteiligt gewesen, und hatte das Ganze mechanisch über mich ergehen lassen. Wie eine Schauspielerin am Set. Natürlich bei einem Pornofilm.
    »Komm!« Er streckte mir einen Arm entgegen und fasste mich bei der Hand, um mir aus meiner unvorteilhaften Kauerstellung aufzuhelfen. Er hatte bereits meinen Trenchcoat aus dem Flur geholt, wo ich ihn bei meinem Eintreffen hatte abgeben müssen, und half mir hinein.
    Vor der Tür des Backsteinhauses wartete die Limousine, und Victor setzte mich zu Hause ab. Auf der Fahrt ins Stadtzentrum fiel kein einziges Wort.
    Durch Müdigkeit, geistige und körperliche Erschöpfung, kann man zum Zombie werden. So erging es mir. Tage, ausgefüllt mit Proben, durchschnittlich zwei Auftritte pro Woche, und wann immer ich Zeit hatte, die Dienste für Victor.
    Ich hätte natürlich ablehnen können. Ich hätte ablehnen müssen. Ich hätte ihm deutlich sagen sollen, dass er zu weit ging, dass ich nicht länger bereit war, an seinen Spielen teilzunehmen, die er mit so viel Überlegung und Raffinesse inszenierte. Doch ich spürte, dass etwas in mir mit einer morbiden Neugier nach weiteren Episoden gierte. Als wollte ich meine eigenen Grenzen ausloten. Jedes Treffen war ein weiterer Schritt auf den Abgrund zu.
    Ich verlor die Kontrolle.
    Ohne Dominik als Anker war ich ein manövrierunfähiges Segelboot, das auf dem tosenden Meer dahintrieb, bedingungslos der Gnade von Wind und Wetter ausgeliefert.
    Wir hatten einen Gastdirigenten aus Venezuela, der eine Konzertreihe mit Werken russischer Komponisten des Neoklassizismus vorbereitete und uns hart rannahm. Anfangs war ihm unser Klang nicht gut genug; er wollte mehr Kraft und Farbe in unserem Spiel, und das betraf vor allem die Streicher. Die vorwiegend männlichen Bläser schienen offenbar mit Leichtigkeit die Gewichtung verlagern zu können, doch wir Streicher taten uns schwer damit, waren wir doch ein subtileres Herangehen gewohnt. Auch hatten viele aus unserem Kreis osteuropäische Wurzeln, und alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen, wenn es darum geht, ein Stück, das man bereits gut kennt, plötzlich mit mehr Verve zu spielen.
    Auf der Probe an diesem Nachmittag hatten wir uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert und Simón, der Dirigent, war mit unseren Bemühungen ganz und gar nicht zufrieden. Am Ende der Doppelprobe lagen unsere Nerven blank.
    Als ich den West Broadway entlang nach Hause ging, summte mein Handy. Es war Chris. Er und seine Band befanden sich auf einer kurzen Tournee durch kleinere Clubs an der Ostküste, und auf dem Weg nach Boston machten sie hier in Manhattan Station. Offenbar hatte er schon am Vortag versucht, mich zu erreichen, um mich zu einem Gastauftritt bei ihrem Gig in der Bleecker Street einzuladen. Doch weil ich von den Proben mit dem venezolanischen Dirigenten und von Victors Forderungen so überlastet war, hatte ich mehrere Tage lang vergessen, mein Handy aufzuladen oder es einzuschalten.
    »Du hast gefehlt«, sagte Chris nach herzlichen Begrüßungsworten.
    »Ich glaube dir kein Wort.« In London hatte ich die Band bei ihren Auftritten nur bei einigen wenigen Songs begleitet. Mit einer Fiedel bekommt eine Rockband einen ganz bestimmten Sound, und wenn man es übertreibt, gerät man zu weit auf die Country-Schiene.
    »Doch«, erwiderte Chris, »du hast uns gefehlt, als Mensch und als Musikerin.«
    »Mit deinen Schmeicheleien wirst du es noch mal weit bringen.«
    Er war nur an diesem Abend in der Stadt, und wir wollten uns treffen, sobald ich nach den hektischen Strapazen des Tages geduscht und umgezogen war.
    Wir mochten beide die japanische Küche. Die rohen Sachen. Gelegentlich beurteile ich andere nach ihren Essensvorlieben, und oft kann ich Menschen nicht ausstehen, die keinen rohen Fisch, keinen Tatar oder Austern mögen. Kulinarische Feiglinge, meiner Meinung nach.
    Die Sushi-Bar war ein kleines Lokal in der Thompson Street, wo sich selten mehr als eine Handvoll Gäste einfanden,

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