80 Days - Die Farbe der Lust
selbst zu erledigen. Er würde damit sicher nicht so sanft umgehen wie Dominik.
Dominik. Ob er wohl anrief? Als ich an ihn dachte, durchfuhr mich ein Stich. Er würde dies alles verstehen. Im Grunde ihrer Persönlichkeit hatten Victor und Dominik einiges gemeinsam, obwohl Victor völlig anders handelte. Dominik wollte mich nicht brechen, er suchte auch keine Dienerin. Er wollte mehr. Er wollte, dass ich ihn begehrte und mich für ihn entschied.
Das Auto, das mich abholte, war wieder ein riesiger, bulliger Schlitten mit dunklen Scheiben, so einer, mit dem im Film Mafiosi herumkutschiert werden. Ich machte mir nicht die Mühe, aus dem Fenster zu schauen und zu verfolgen, wohin Victor mich diesmal bringen ließ. Eine weitere anonyme Adresse, wieder irgendein privater Dungeon. Was zählte das noch? Ich hatte eingewilligt zu kommen. Da konnte ich kaum die Polizei anrufen und mich selbst als gekidnappt melden.
Mein Handy vibrierte in meiner Handtasche, fast wäre das Geräusch im leisen Schnurren des Motors untergegangen. Ich schaltete es gewöhnlich auf stumm oder auf Vibration, da ich mir nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als dass Victor während der Orchesterproben anrief. Der Dirigent und der Konzertmanager bekamen Tobsuchtsanfälle, wenn mitten in einem Stück ein Handy losplärrte. Vor allem aber verlangte Victor von mir, dass ich mich unverzüglich meldete; ich wäre also gezwungen, meine Geige abzulegen und seinem Befehl zu gehorchen.
Ich durchwühlte meine Tasche nach dem Telefon, um zu sehen, wer mich sprechen wollte. Vielleicht Dominik? Meine Finger waren steif vor lauter Angst. Hatte Victor im Auto Kameras installiert? Oder ein Mikrofon, über das er meine Anrufe mithörte? Ich beugte mich nach vorn, um mir meinen Fahrer anzuschauen, doch die Glasscheibe zwischen den vorderen und hinteren Sitzen war undurchsichtig. Womöglich gab Victor sogar selbst den Chauffeur. Das waren genau die Spielchen, die ihn antörnten. Schon wurde der Wagen langsamer, und durch die getönten Scheiben erkannte ich Victors gedrungene Gestalt auf dem Bürgersteig. Aha, er war also nicht der Fahrer. Jeden Moment würde die Tür geöffnet werden, deshalb konnte ich weder telefonieren noch eine SMS schreiben, ja nicht einmal nachschauen, ob der Anruf tatsächlich von Dominik war. Mir blieb einzig die Möglichkeit, meinen Daumen über den Abschaltknopf zu halten, damit das Gerät nicht erneut vibrierte und Victor Wind davon bekam, dass wir in Kontakt standen.
Hoffentlich gab Dominik seine Versuche nicht auf, wenn er es denn gewesen war, und hoffentlich konnte ich bei der sicherlich bizarren Veranstaltung, die Victor für diesen Abend geplant hatte, mal an mein Telefon kommen, um mich bei Dominik zu melden.
Victor machte die hintere Autotür auf und reichte mir die Hand. Ich nahm sie und ließ mir von ihm aus dem Wagen helfen. Wie tief war ich eigentlich schon gesunken? Dass ich Victor zu ritterlichem Verhalten inspirierte wie ein bedauernswertes Geschöpf, das nicht auf eigenen Füßen stehen konnte, weckte in mir paradoxerweise größeren Abscheu als alle sexuellen Handlungen, denen er mich ausgesetzt und in die ich mich ergeben hatte. Ich wollte aufbegehren, mich über ihn erheben, ihn auf den Asphalt schleudern – rührte aber keinen Finger. Ich brachte es einfach nicht fertig. Stattdessen nahm ich seine Hand und folgte ihm demütig.
Wir waren in seinem Loft in Tribeca, das für diesen Anlass wie eine Art Harem ausstaffiert war. Das Ergebnis glich allerdings eher einer Karikatur, mit verzierten Sitzkissen auf dem Boden und die Decken mit Bahnen aus hauchdünnem, buntem Chiffon abgehängt. Besonders lächerlich aber fand ich, wie sich die »Herren« und »Herrinnen« für diesen Abend herausgeputzt hatten, um, wie sie glaubten, ihren ganz besonderen »Rang« herauszustreichen.
»Senke den Kopf, Sklavin!«, zischte mir Victor ins Ohr. Ich gehorchte, empfand dabei allerdings kurzzeitig Genugtuung. So, wie ich dastand, mit erhobenen Kopf und durchgebogenen Rücken, wirkte ich wohl zu selbstbewusst. Gut.
Victor nahm mir die Umhängetasche von der Schulter.
»Ausziehen«, befahl er.
Offenbar hatte ihn meine kurz aufflammende Rebellion verärgert. Ich streifte mein Kleid ab und reichte es ihm. Drunter trug ich nichts. Wozu auch? Inzwischen konnte ich zwar einigermaßen elegant aus dem Kleid schlüpfen, kam mir aber immer noch dumm vor, wenn ich aus dem Höschen stieg. Deshalb ließ ich es mittlerweile einfach fort.
»Deine
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