80 Days - Die Farbe der Lust
Bücher verbracht, aber er war kein typischer Intellektueller, er stand mit beiden Beinen im Leben. Als Student hatte er beinahe ebenso viele Stunden in der Bibliothek wie in Sportklamotten im Stadion verbracht, wo er für Leichtathletikwettbewerbe trainierte. Seine Paradedisziplinen waren Hoch- und Weitsprung, aber auch als Mittelstrecken- und Querfeldeinläufer war er stark gewesen. Weniger erfolgreich war er in Teamsportarten, es lag ihm nicht besonders, sich in eine Mannschaft einzufügen. Er hatte diese beiden Seiten seines Lebens – die Bücher und den Sport – nie als Widerspruch empfunden.
Sein Liebesleben war lange Zeit eher eintönig und konventionell verlaufen. An Bettgenossinnen hatte es ihm nie gemangelt, auch nicht in seinen jüngeren Jahren, als er noch dazu neigte, Frauen zu idealisieren, und sich mit schöner Regelmäßigkeit stets gerade in die eine verliebte, die er nicht bekommen konnte. Er selbst schätzte sich als eher durchschnittlichen Liebhaber ein, nicht besonders einfallsreich, dafür aber zärtlich. Er machte sich nie wirklich Gedanken darüber, ob ihn die Frauen gut fanden, mit denen er ins Bett stieg. Sex war für ihn eher eine Nebensache, eine notwendige zwar, aber auch bloß ein Teil seines ausgefüllten Lebens, an Bedeutung gleichauf mit Büchern, Kunst und gutem Essen.
Bis zu dem Tag, an dem er Kathryn kennenlernte.
Natürlich hatte er Marquis de Sade und die vielen Klassiker der modernen erotischen Literatur gelesen. Er konsumierte Pornos (gerne bis zum wiederholten ejakulativen Höhepunkt) und wusste, was BDSM , Dominance und Submission bedeutete, kannte die ganze Palette an erotischen Spielarten, Fetischen und Sexspielzeugen, doch nichts davon hatte je mit seinem Alltagsleben zu tun gehabt. Für ihn war das alles Theorie, etwas weit Entferntes, eine Lust, der andere frönten, für die er sich nur auf rein intellektueller Ebene interessierte. Diese Parallelwelt hatte nichts Verlockendes, es reizte ihn nicht, daran teilzunehmen.
Kathryn war ebenfalls Hochschuldozentin, jedoch an einer anderen Fakultät. Sie lernten sich auf einem Kongress in den Midlands kennen: Ein neugieriger Blickwechsel quer durch den Saal, während er einen Vortrag hielt, gefolgt von einer etwas steifen Unterhaltung an der dicht belagerten Bar. Kaum waren sie wieder in London, wurden sie ein Liebespaar, obwohl sie verheiratet war und Dominik damals eine schon länger dauernde Beziehung hatte.
Ihre sinnlichen Begegnungen fanden meist tagsüber in Hotelzimmern oder auf dem Teppich des kleinen Büros in seinem College statt, zwischen der Happy Hour und dem letzten Zug von Charing Cross in die südlichen Vororte.
Dabei zählte stets jede Minute. Der Sex war eine Offenbarung für sie beide; Dominik wie Kathryn schien es, als hätten sie alle ihre bisherigen sexuellen Erfahrungen zu diesen Augenblicken geführt. Gehetzt, brutal, verzweifelt, gierig – wie eine Droge.
Knie, die über den dicken hellbraunen Teppichboden scheuern, ihr Körper unter ihm, sie beide keuchend, atemlos, sein Schaft, der sich Stoß um Stoß härter und tiefer in Kathryn rammt, ihre Augen in lustvoller Hingabe geschlossen – das war ein Bild, das sich Dominik ins Gedächtnis gebrannt hatte. Eine Erinnerung für später. Ob er eines Tages (wann wohl?) darauf würde zurückgreifen müssen, um sich selbst in Einsamkeit Befriedigung zu verschaffen?
Er schaute auf ihren Hals, der sich bis zum Ansatz ihrer kleinen Brüste gerötet hatte, lauschte auf die unzüchtigen Laute ihrer Liebe, das Aufeinanderklatschen ihrer Körper, das in dem weitläufigen leeren Büro obszön widerhallte. Das abgehackte Keuchen, mit dem ihre geschürzten Lippen den Atem ausstießen. Dazu der Schweiß auf ihrer Stirn, die Perlen, die aus den Poren seiner Brust, seiner Arme, Beine und anderen Körperteilen drangen, während er sich lustvoll auf und in ihr austobte.
»Wahnsinn«, stöhnte sie.
»Ja.« Dominik wurde nun ruhiger und fand zu einem gleichmäßigen Rhythmus, mit dem er in ihr Becken stieß, während Kathryn mit einem keuchenden Laut der Zustimmung ihr Verlangen kundtat. Sie schloss die Augen und seufzte tief.
»Alles in Ordnung?« Beunruhigt verlangsamte er sein Tempo.
»Ja. Ja …«
»Bin ich zu heftig? Möchtest du es sanfter haben?«
»Nein«, sagte Kathryn mit rauer, kehliger Stimme. »Mach weiter. Mehr! Bitte!«
Dominik richtete sich auf, um seine Knie zu entlasten, verlor kurz das Gleichgewicht und wäre beinahe auf sie gefallen. Auf der
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