80 Days - Die Farbe der Lust
Voller Sorge fragte sie sich, wohin das alles führen würde.
Schließlich kam Kathryn nicht mehr gegen die Last der Wirklichkeit an, gegen ihre bürgerliche Erziehung, ihren Cambridge-Abschluss in Literatur und ihre langweilige Ehe mit einem Mann, der zwar nett war, aber keine Fantasie besaß, und sie machte Schluss mit Dominik. Danach sprachen sie nie mehr miteinander und gingen sich bei beruflichen und sonstigen Veranstaltungen sorgsam aus dem Weg. Später zogen Kathryn und ihr Mann aus London fort, und sie gab ihre Lehrtätigkeit auf.
Für Dominik jedoch gab es kein Zurück mehr. Die ganze weite Welt war ein Dschungel köstlicher Versuchungen geworden, und das Wissen, dass er sich mit Kathryn ein neues Niveau erobert hatte und es im Leben mehr gab, als er bisher geahnt hatte, sollte ihn nie mehr verlassen.
Dominik wusste, dass er Summer zuerst einmal auf die Probe stellen und sich ihrer Bereitschaft, ihrer Neigung für das Spiel versichern musste. Schließlich hatte sie, wie er zufrieden feststellte, ihren eigenen Kopf, sodass bei ihr durch grobe Manipulation oder Erpressung nichts zu erreichen war. Und er wünschte sich ja auch, dass sie sich freiwillig auf sein abenteuerliches Experiment einließ, mit vollem Wissen um die Risiken und Konsequenzen. Er suchte nicht nach einer Marionette, die er nach Belieben dirigieren konnte, nicht nach einer willenlosen Gespielin. Er wollte eine Mitverschwörerin, deren banges Herz im Gleichklang mit seinem schlug.
Die Kürze ihrer ersten Begegnung und die vielen unausgesprochen gebliebenen Dinge mussten ihr bereits gesagt haben, dass die Geige nur ein Köder war und er auf lange Sicht mehr von ihr erwartete als bloß das Geschenk ihrer Musik. Sicher keinen Pakt mit dem Teufel, und er war auch kein Machiavelli, dennoch war es ein Spiel, in dem die beiden einander bis zum Äußersten treiben konnten. Nicht dass er eine Vorstellung davon gehabt hätte, wie und wo es enden sollte. Ja, da war etwas Dunkles, das er erforschen wollte, aber in welche Tiefen es sie führen würde, wusste er noch nicht.
Er rief einen Bekannten an, einen Philosophieprofessor, der ein großer Musikkenner war und einen etwas zweifelhaften Ruf hatte. Ja, erklärte der auf seine Fragen, er kenne einen Laden, wo man zu einem vernünftigen Preis für einen Tag, eine Woche oder auch einen Monat eine gute Geige ausleihen könne, und er wisse auch, an welchem Ort man am besten per Aushang Musiker für einen Auftritt suche.
»Es geht hier allerdings um eine sehr private Aufführung«, erklärte Dominik. »Meinst du, die Musiker hätten was dagegen, mit verbundenen Augen zu spielen?«
Sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung lachte schallend. »Ach herrje! Zu so einer Aufführung würde ich auch mal gerne kommen.« Dann meinte er etwas ernster: »Wenn sie das Stück gut kennen und das Geld stimmt, warum nicht? Aber vielleicht solltest du diese besondere Bedingung nicht gleich im Aushang erwähnen.«
»Verstehe«, antwortete Dominik.
»Lass mal hören, wie es gelaufen ist«, sagte der andere. »Du hast mich wirklich neugierig gemacht.«
»Ich werde dir berichten, Victor. Versprochen.«
Am nächsten Tag suchte er das empfohlene Musikgeschäft auf. Es befand sich etwa in der Mitte der Denmark Street im West End von London unweit der Charing Cross Road. Wie in den anderen Musikalienhandlungen dieser Straße, die manchmal immer noch Tin Pan Alley genannt wurde, schien man auch hier hauptsächlich E-Gitarren, Bassgitarren und Verstärker anzubieten. Andere Instrumente waren im Schaufenster jedenfalls nicht zu entdecken. Dominik, der schon dachte, er habe einen falschen Tipp bekommen, trat nur zögernd ein. Eine ausladende Vitrine, in der ein halbes Dutzend Geigen ausgestellt war, zeigte ihm jedoch sogleich, dass er richtig war.
Die junge Frau hinter dem Verkaufstresen begrüßte ihn. Sie hatte rabenschwarzes, offensichtlich gefärbtes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, trug hautenge Jeans und war stark geschminkt. Ihre Lippen leuchteten grellrot. Ein dickes Piercing schaukelte an ihrer Nase, und ihre Ohren schmückten zahllose Ringe aus verschiedensten Metallen. Dominik betrachtete sie amüsiert und malte sich aus, wo sie noch überall Piercings haben mochte. Er hatte schon immer mal mit einer Frau mit einem Genitalpiercing oder Brustwarzenringen ins Bett gehen wollen, aber bislang nur mit Bauchnabelpiercings Bekanntschaft gemacht. Die fand er weniger prickelnd und irgendwie billig, fast schon
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