80 Days - Die Farbe der Lust
rief er mir hinterher.
»Ja?«
»Trag ein schwarzes Kleid.«
4
EIN MANN UND SEIN STREICHQUARTETT
Dominik war seit jeher ein eifriger Leser von Agententhrillern gewesen, und aus den vielen Schmökern, die er begierig verschlungen hatte, erinnerte er sich noch gut an einige Grundtechniken des Spionagehandwerks. So zog er sich beim Betreten des Cafés sogleich in eine dunkle Ecke neben der Treppe zum Obergeschoss zurück, von wo aus er einen guten Blick auf die Eingangstür hatte, aber von den eintretenden Gästen, die aus dem Hellen kamen, selbst nicht gleich gesehen werden konnte. Immerhin brauchte er sich in diesem Fall nicht nach einem Fluchtweg umzuschauen.
Er beobachtete, dass Summer das Café betrat, ein paar Minuten verspätet und leicht außer Atem. Sie schaute sich in dem beinahe leeren Lokal um, in dem es verführerisch nach Kaffee duftete und die Espressomaschine laut zischte. Ohne ihn in seinem Winkel neben der Treppe zu bemerken, stieg sie die Stufen zum Obergeschoss hinauf. Bei jedem Schritt spannte sich ihr enges blaues Etuikleid um ihre Hüften und gewährte ihm einen tiefen Einblick, der erst endete, wo das Dunkel zwischen ihren Beinen seiner Neugier eine Grenze setzte. Dominik hatte schon immer eine voyeuristische Ader gehabt, und dass er so unverhofft etwas von ihren zarten Geheimnissen erhaschen konnte, war für ihn das reinste Vergnügen, ein herrliches Versprechen auf mehr.
Jetzt, da er sie ohne ihre Geige und den hypnotischen Einfluss ihrer Musik vor sich hatte, konnte er sich ganz auf ihre Erscheinung konzentrieren. Da waren ihr flammender Haarschopf, ihre Wespentaille und ein beinahe maskuliner Zug in ihren Bewegungen. Sie war etwas kleiner, als er in Erinnerung hatte, offenbar war sie ihm unter der niedrigen Decke der U-Bahn-Station größer vorgekommen. Sie war nicht schön im klassischen Sinn, kein Model, aber sie hatte etwas Besonderes an sich, das sie hervorhob, ob in einer Menschenmenge oder allein, ob sie durch ein Café eilte oder draußen über die Docks lief. Ja, sie war anders, und gerade das machte sie für ihn so anziehend.
Er schickte ihr eine SMS , um ihr mitzuteilen, wo er sich befand. Ihre Wangen waren leicht gerötet, als sie die Treppe herunterkam. Offenbar war es ihr peinlich, dass sie ihn nicht gleich gesehen hatte.
Nun stand sie vor ihm.
»Du bist also Summer«, sagte er, stellte sich vor und bat sie, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
Sie setzte sich.
Ein schwacher Duft von Zimt wehte zu ihm herüber. Irgendwie hatte er bei ihr etwas anderes erwartet. Zu ihrer blassen Haut gehörte seiner Vorstellung nach ein Parfüm mit einer stark grünen Note, trocken, dezent, zurückhaltend. Nun gut.
Er sah Summer in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand, herausfordernd, neugierig, selbstsicher und ein klein wenig amüsiert. Unverkennbar eine starke Persönlichkeit. Das versprach spannend zu werden.
Sie bestellten Kaffee und nahmen sich dabei prüfend in Augenschein, beobachtend, beurteilend, abwägend, spekulierend. Wie Schachspieler suchten sie nach dem Schwachpunkt ihres Gegners, an dem sie versuchen würden, eine Bresche zu schlagen und ihn zu besiegen.
Dominik erhob sich, um das Tablett zu holen, auf dem der Barista ihre Espressos bereitgestellt hatte, während sie rasch eine SMS schrieb. Wahrscheinlich teilte sie einer Freundin mit, dass sie in Sicherheit und er allem Anschein nach kein Serienkiller oder ausgemachter Widerling war. Dominik erlaubte sich ein Lächeln. Offenbar hatte er den ersten Test bestanden. Nun war der Ball in seiner Hälfte.
Er wiederholte sein Angebot und erläuterte ihr in groben Zügen sein scheinbar unschuldiges Vorhaben, während in seinem Kopf bereits ein komplexerer Plan Gestalt annahm. Fantasien blitzten auf, Visionen erwachten zum Leben, wie ein Polaroidfoto, das aus einer dunklen Schlierenwolke auftaucht. Wie weit konnte er gehen? Bis wohin würde sie ihm folgen?
Als sie sich eine halbe Stunde später verabschiedeten, war immer noch eine Spur von Befangenheit zwischen ihnen. Zu vieles war ungesagt geblieben. Dominik hatte einen Steifen bekommen, der seine Jeans ausbeulte. Er sah ihr nach, als sie mit leichten Schritten über die Wege der St. Katharine Docks in Richtung Tower Bridge davoneilte. Obwohl sie sich nicht umblickte, war Dominik überzeugt, dass sie seine Blicke im Rücken spürte.
Ja, das versprach spannend zu werden … Gewagt und aufregend, aber …
Dominik hatte zwar den größten Teil seines Lebens in der Welt der
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