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80 Days - Die Farbe der Lust

80 Days - Die Farbe der Lust

Titel: 80 Days - Die Farbe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Jackson
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Allerdings habe ich nie mit jemandem darüber gesprochen, sondern mich eher ein bisschen geschämt. Eigentlich wusste ich auch gar nicht, was ich da tat. Gekommen bin ich dabei nie, zumindest nicht in den ersten Jahren.
    Du hast vielleicht in der U-Bahn-Station gemerkt, dass ich beim Spielen an einen Punkt komme, wo ich in Trance gerate und dann in einer ganz eigenen Welt bin. Aber sobald ich aufhöre, komme ich wieder in die Realität zurück. Das Geigespielen hat sich bei mir von Anfang an körperlich ausgewirkt, wie eine Entladung. Und es scheint auch meine Empfindungen zu vertiefen.«
    Ich schaute zu Dominik hinüber, um zu sehen, wie er meine Worte aufnahm.
    Er hatte die Lehne des Fahrersitzes nach hinten gestellt und sich entspannt zurückgelehnt. Ich folgte seinem Beispiel. Sein Auto roch so sauber und frisch, wie es meiner Meinung nach für BMW -Fahrer typisch ist. Der gesamte Innenraum war lupenrein sauber und ohne jeden Hinweis auf etwas Persönliches – nirgends der geringste Abfall von einem Imbiss, kein Waffenholster, kein verdächtiges Paket. Nur das Buch, in dem er zuvor gelesen hatte, auf dem Armaturenbrett. Der Autor sagte mir nichts.
    Dominik sah mich nicht an, sondern blickte durch die Windschutzscheibe reglos nach vorn. Er wirkte vollkommen zufrieden und eins mit sich, wie jemand in der Anfangsphase einer Meditation. Trotz der seltsamen Umstände empfand ich seine Reaktion – oder eigentlich Reaktionslosigkeit – als beruhigend. Ich vertraute ihm Geheimnisse an, von denen ich bis jetzt niemandem etwas erzählt hatte. Doch da er beinahe mit seinem Auto verschmolz, kam es mir fast so vor, als spräche ich zu mir selbst.
    Und so fuhr ich fort. »Manchmal zog ich mich aus, wenn ich übte, weil ich es mochte, wenn die frische Luft durch das offene Fenster über meinen Körper strich. Ich ließ das Licht an und die Vorhänge offen und stellte mir vor, dass mich die Nachbarn nackt beim Geigespielen sahen. Keine Ahnung, ob sie es wirklich taten, sie haben jedenfalls nie ein Wort darüber verloren.
    Das machte ich eine ganze Weile. In der Schule war ich irgendwann so isoliert, dass meine Mutter fürchtete, ich könnte neurotisch werden. Sie drängte darauf, ich solle mich einer Sport- oder Theatergruppe der Schule anschließen. Ich solle etwas ›Normales‹ machen. Wir haben uns furchtbar gestritten, aber am Ende hat sie sich durchgesetzt. Immerhin durfte ich mir die Sportart selbst aussuchen.
    Ich entschied mich für Schwimmen, hauptsächlich um meine Mutter zu ärgern, die mich lieber in einem Mannschaftssport wie Hockey oder Korbball gesehen hätte. Doch ich gewann diese Runde, weil ich ihr klarmachte, dass starke Armmuskeln gut fürs Geigespielen sind.«
    Ein leises Lächeln huschte über Dominiks Gesicht, als ich diese Einzelheit schilderte, aber er sagte nichts. Offenbar wartete er darauf, dass ich weitersprach.
    »Dann zeigte sich, dass Schwimmen auf mich genau die gleiche Wirkung hatte wie das Geigespielen. Ich liebte das Gefühl, im Wasser zu sein, und die Zeitlosigkeit, die sich einstellte, wenn ich eine Bahn nach der anderen zog. Richtig schnell wurde ich nie, konnte aber einfach nicht aufhören und schwamm, ohne müde zu werden. Manchmal musste mir mein Trainer einen Stups auf die Schulter geben und mir sagen, die Stunde sei vorbei und ich könne nach Hause gehen.
    Er war ein gutaussehender Typ und hatte in seiner Schulzeit für unsere Region an Wettkämpfen teilgenommen. Als er dann zu alt fürs Siegertreppchen war, wurde er Trainer. Er hatte aber noch immer einen durchtrainierten Körper und trug die übliche Rettungsschwimmer-Kluft – knappe Shorts, T-Shirt – und die unvermeidliche Trillerpfeife. Groß beachtet habe ich ihn aber nicht. Für meinen Geschmack fand er sich selbst einfach zu toll und spielte seine Autorität ziemlich angeberisch aus. Die anderen Mädchen haben natürlich alle für ihn geschwärmt. Wie alt er war, weiß ich nicht. Älter als ich. Es geschah dann mit ihm, mit meinem Schwimmtrainer. Mein erstes Mal.«
    Erneut warf ich Dominik einen Blick zu. An seinem Ausdruck hatte sich nichts geändert. Er wirkte ungerührt und in Gedanken versunken.
    »Sprich weiter«, sagte er.
    »Eines Nachmittags gab er mir am Ende der Stunde kein Zeichen, sondern ließ mich weiterschwimmen, immer weiter. Nach ich weiß nicht wie vielen Bahnen hörte ich dann von allein auf, weil mir plötzlich auffiel, dass es bereits dunkel wurde. Außer mir war niemand mehr im Wasser; die anderen

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