80 Days - Die Farbe der Lust
Vielleicht, weil sie in diesem Augenblick so überaus glücklich war.
Dominik runzelte die Stirn.
Sie war unverkennbar erleichtert über sein positives Urteil, wirkte aber nicht sehr entspannt – ihre Schultern waren leicht verkrampft, und sie hatte einen etwas angestrengten Zug um den Mund. Vielleicht spürte sie, dass dies erst ein Anfang war und noch einiges mehr kommen würde.
»Du sollst deine Geige bekommen«, erklärte er.
»Bist du sicher, dass ich nicht diese hier haben kann?«, begehrte sie auf und strich besitzergreifend über den langen, glatten Hals des Instruments. »Ein Prachtstück.«
»Das wäre sicher auch möglich. Aber wie ich schon sagte, werde ich dir eine bessere besorgen. Das hast du verdient.«
»Meinst du das ernst?«
»Ja«, sagte Dominik entschieden. Weitere Einwände würde er nicht gelten lassen.
Er trat zu Summer, hob den Mantel vom Boden auf und half ihr hinein. Dann gingen sie zum Auto, wo sie ihm die Geige zurückgab.
Summer schossen so viele Fragen durch den Kopf, dass sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte.
Er wies auf den Beifahrersitz.
»Setz dich zu mir«, befahl er.
Summer gehorchte.
Sie hatte befürchtet, dass es im Wagen nach Tabak roch – irgendwie sah Dominik wie ein Raucher aus –, aber das war nicht der Fall. Ein leichter, nicht unangenehmer Moschusduft hing in der Luft.
Dominik spürte ihre Nähe, als er hinter dem Lenkrad Platz nahm. Diesmal duftete sie nicht nach Zimt, sondern lediglich nach Seife. Irgendwie lieblich, hygienisch, beruhigend. Obwohl sie in den Mantel gehüllt war, drang die Wärme ihres Körpers bis zu ihm herüber.
»Wenn du das nächste Mal für mich spielst, hast du deine eigene Violine, eine, die genau zu dir passt, Summer. Der Preis soll keine Rolle spielen«, sagte er.
»Gut«, antwortete sie.
»Und jetzt erzähl mir von deinem ersten Erlebnis mit einem Mann.«
Zunächst erschrak sie über die Unverblümtheit dieser Aufforderung, und Dominik bekam einen Augenblick Zweifel, ob er sie richtig eingeschätzt hatte. Vielleicht würde sie doch nicht mitmachen.
Summer schwieg einen Moment, um ihre Gedanken und Erinnerungen zu sammeln. Auf gewisse Weise war sie mit diesem Mann bereits intim geworden, was hatte es da für einen Sinn, ihm jetzt etwas vorzuenthalten?
Die Frontscheibe des Wagens war leicht beschlagen; Dominik schaltete die Klimaanlage an.
Und sie erzählte ihm, wie es gewesen war.
Die Geige war im Jahr 1900 von Pierre Bailly in Paris erbaut worden und kostete Dominik eine niedrige fünfstellige Summe. Sie war ihm im Katalog eines Spezialhändlers sogleich ins Auge gefallen. Die Farbe des Holzes ging eher ins Gelbliche als ins Orange oder Braune, ein ruhiger Ton, der Heiterkeit und Geduld ausstrahlte, aber mit einer Patina, die ein ganzes Jahrhundert an Melodien und Erfahrungen zum Ausdruck brachte. Der Verkäufer im Laden in der kleinen Burlington Arcade war überrascht, dass er sie vor dem Kauf nicht spielen wollte, und schien ihm zunächst nicht zu glauben, als Dominik sagte, er kaufe sie für eine Bekannte. Dominik wusste, dass seine Finger lang waren, Musikerfinger – Freunde und Frauen hatten es ihm oft genug gesagt. Aber sah er ansonsten wie ein Musiker aus oder gar wie ein Violinist?
Zu der wertvollen alten Geige gab es ein Zertifikat, das sämtliche Besitzer der vergangenen 112 Jahre auflistete. Es waren bloß fünf an der Zahl, und die zumeist ausländischen Namen ließen vermuten, dass das Instrument durch Krieg und andere Umstände weit herumgekommen war. Die letzte Besitzerin hatte Edwina Christiansen geheißen. Nach ihrem Tod, so erfuhr er, hatten ihre Erben das Instrument bei einer Auktion versteigern lassen, wo es der Händler zusammen mit einigen weniger wertvollen Nachlassstücken erwerben konnte. Nein, antwortete der Verkäufer auf Dominiks Frage, er könne ihm keine weiteren Auskünfte über die verstorbene Miss Christiansen geben.
Zu der Bailly gab es keinen Kasten, also kaufte Dominik einen brandneuen über das Internet. Niemand sollte auf die Idee kommen, dass Summer ein altes wertvolles Instrument besaß, nur weil sie es in einem ähnlich alten Kasten mit sich herumtrug. Dominik war ein sehr praktisch denkender, stets zur Vorsicht neigender Mensch.
Sobald der Geigenkasten geliefert war, verstaute er die rostgelbe Violine in ihrem neuen Behältnis und verpackte sie sorgfältig. Dann übergab er sie einem Kurierdienst mit dem Auftrag, sie Summer Zahova persönlich an ihrer Adresse in East
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