80 Days - Die Farbe der Lust
trotz der Augenbinde nackt dastehen sehen.
»Wir haben gut zusammengespielt, fand ich. Obwohl wir dich nicht sehen konnten«, setzte Lauralynn noch herausfordernd nach.
»Stimmt«, gab ihr Summer recht. Zwischen ihnen hatte sich rasch ein gutes musikalisches Zusammenspiel entwickelt, trotz der skurrilen Umstände ihrer Begegnung.
»Also, was suchst du?«, fragte Lauralynn.
»Arbeit. Auftritte. Eigentlich alles. Am liebsten etwas mit Musik. Bei mir herrscht nämlich gerade ziemlich Ebbe im Geldbeutel«, gab Summer zu.
»Verstehe. Die besseren Angebote findet man allerdings nicht hier am Schwarzen Brett. Du bist nicht an der Hochschule eingeschrieben, oder? Die wirklich guten Sachen gehen alle unter der Hand weg.«
»Ach so.«
»Wollen wir vielleicht einen Kaffee trinken?«, schlug Lauralynn vor. »Im ersten Stock gibt es eine nette Cafeteria, und jetzt, während der Semesterferien, ist sie auch bestimmt nicht voll. Da können wir uns ungestört unterhalten.«
Summer war einverstanden und folgte ihr zur Wendeltreppe, die Lauralynn ansteuerte. Durch den Stoff ihrer Jeans, die sich wie eine zweite Haut an sie schmiegte, zeichnete sich ihr Hintern ab. Summer hatte sich eigentlich nie von Frauen angezogen gefühlt, doch diese blonde junge Frau hatte eine unübersehbare Ausstrahlung, eine Autorität und Selbstsicherheit, wie Summer es selbst bei Männern nur selten erlebte.
Sie verstanden sich rasch, stellten fest, dass sie zeitgleich ein paar Jahre in Australien gelebt hatten – allerdings in verschiedenen Städten – und häufiger die gleichen Lokale und Clubs besuchten. Summer wurde immer lockerer. Lauralynn war ihr sympathisch, trotz der unterschwellig manipulativen Art, die sie instinktiv bei ihr erspürte. Nach zwei Runden Kaffee kamen sie überein, den drohenden Koffeinrausch mit Prosecco zu bekämpfen, und Lauralynn bestand darauf, die Flasche zu bezahlen.
»Wie flexibel bist du?«, fragte Lauralynn unvermittelt, nachdem sie sich gerade noch über so etwas Unverfängliches wie die Akustik der Konzertsäle in Sydney unterhalten hatten.
»Flexibel? In welchem Sinn?« Summer war sich nicht ganz sicher, was Lauralynn damit meinte.
»Was deinen Wohnort angeht.«
»Oh, da bin ich nicht festgelegt«, antwortete Summer. »Warum?«
»Weil ich weiß, dass in einem recht guten Klassikorchester noch eine Violine zu besetzen ist. Ich glaube, du bist gut genug und würdest das Vorspielen sicher mit rauschendem Erfolg bestehen. Sogar mit verbundenen Augen.« Sie lachte.
»Klingt interessant.«
»Es wäre allerdings in New York. Und sie suchen jemanden, der den Vertrag für mindestens ein Jahr unterschreibt.«
»Oh.«
»Ich kenne die Agentin in Bishopsgate, die das Angebot betreut. Ihr beide habt etwas gemeinsam, sie kommt ebenfalls aus Neuseeland. Ich würde ja mit Freuden selbst für eine Weile nach New York zurückgehen, aber eine Cellistin wird leider gerade nicht gebraucht.«
»Ich weiß nicht so recht.«
»Ist es seinetwegen, dass du dich nicht entscheiden kannst?«
»Seinetwegen? Wen meinst du?«
»Deinen Typen und Wohltäter. Oder wie würdest du ihn nennen? Oder ist er am Ende gar dein Herr und Meister?«
»Wie kommst du denn darauf?«, protestierte Summer. »So läuft das zwischen uns nicht.«
»Du brauchst mir nichts vorzumachen. Ich habe doch geahnt, was in der Krypta passieren sollte und was ihr beide vorhattet. Du solltest dich ausziehen, nicht wahr? Hat ihm einen Kick gegeben, dass du da als Einzige nackt neben uns drei Angezogenen gespielt hast, oder?«
Summer musste schlucken.
»Und dich hat es auch angemacht, nicht wahr?«, fuhr Lauralynn fort. Summer flüchtete sich in Schweigen. Sie trank einen Schluck Prosecco, der inzwischen allerdings schon ein bisschen abgestanden schmeckte.
»Woher weißt du das?«, fragte sie.
»Ich weiß gar nichts«, erwiderte Lauralynn. »Aber ein Freund von mir, der in der Kinky-Szene zu Hause ist, hat für deinen Typen den Aushang gemacht. Die beiden sind befreundet. Es war mir gleich klar, dass das kein Auftritt bei der Heilsarmee wird. Nicht dass ich so was ablehne. Ich bin auch kein Kind von Traurigkeit.« Sie lächelte verschwörerisch.
»Dann erzähl mal«, meinte Summer nur.
9
EIN MÄDCHEN UND SEINE NEUE FREUNDIN
»Da habe ich eine bessere Idee«, sagte Lauralynn. »Ich zeig’s dir.«
Wir saßen nach wie vor in der Cafeteria und sprachen über Lauralynns Leben in der Kinky-Szene.
Sie griff mit ihrem langen schlanken Arm nach meiner Hand und
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