80 Days - Die Farbe der Lust
fuhr mit den Fingernägeln sachte die Innenseite meines Unterarms entlang.
Ich schluckte.
Wollte sie damit etwas beweisen, oder war es eine Einladung? Und wenn ja, wozu?
»Hast du schon einmal eine Domme in Aktion erlebt?«, fragte sie.
Es war klar, dass sie damit eine Frau meinte, die außerhalb der Szene meist als Domina bezeichnet wird.
»Ein paarmal«, antwortete ich, »aber nur in Clubs. Nie … ähm … privat.«
Wir waren inzwischen bei der zweiten Flasche Prosecco angelangt, und ich hatte vermutlich weit mehr getrunken als sie. Oder Lauralynn vertrug außergewöhnlich viel. Ich jedenfalls war ziemlich beschwipst, während sie einen stocknüchternen Eindruck machte.
»Du solltest deine Ausbildung abrunden und auch mal auf der anderen Seite naschen. Es geht nämlich nicht immer nur um Männer.«
Als sie »naschen« sagte, hob sie eine Augenbraue, und ich wurde rot. Ich war es nicht gewöhnt, mit Frauen zu flirten, und fühlte mich ziemlich überfordert. Die Situation erinnerte mich an mein erstes Treffen mit Dominik in dem Café in den St. Katharine Docks. Wir hatten uns am Tisch gegenübergesessen und einander beäugt, während stillschweigend ein Kampf zwischen Dominanz und Unterwerfung, Anziehung und Stolz tobte.
»Und was müsste ich dafür tun?«
»Fragen darfst du schon, aber Antwort bekommst du nicht. Ich will dir doch nicht die Überraschung verderben. Die ist nämlich Teil des Spiels.«
Nun stützte sie den Ellbogen auf den Tisch und fuhr mit dem Zeigefinger langsam über den Rand ihres Sektglases. Als sie sah, dass mein Blick ihrem Kreisen und dem festen Druck auf das unnachgiebige Glas folgte, grinste sie durchtrieben.
»Denkst du an deinen Mann?«, fragte sie. »Oder an mich?«
Dominik. Ich überlegte. Wir waren uns einig gewesen, dass es jedem von uns freistand, seinen Lüsten nachzugehen, und ich hatte ihn, wie verlangt, über alle Details meiner Entdeckungsreisen auf dem Laufenden gehalten. Aber wie würde er reagieren, wenn ich mich bewusst jemand anderem unterwarf? Das war etwas anderes als ein kleiner Fick zwischendurch oder die Spiele in einem Club. Jedenfalls kam es mir so vor. Insbesondere wenn es auf Initiative von Lauralynn geschah, die vor noch nicht allzu langer Zeit in Dominiks Diensten gestanden hatte und vielleicht sogar noch immer stand, da sie vermutlich auf Dauer zum Stillschweigen über unseren Auftritt verpflichtet worden war.
Ich würde es Dominik nicht erzählen können, so einfach war das. Es gab keine Möglichkeit, ihm von meiner Begegnung mit Lauralynn zu berichten, ohne sie damit reinzureiten. Ganz eindeutig sollten wir nach dem Auftritt nie wieder Kontakt zueinander haben. Wenn ich auf Lauralynns Angebot einging, würde ich seiner Anweisung zuwiderhandeln.
Doch plötzlich meldete sich meine rebellische Ader. Schließlich war ich nicht Dominiks Besitz. Nein, er konnte nur so weit über mich bestimmen, wie ich es zuließ. Außerdem hatte er mir nie ausdrücklich verboten, mit Lauralynn Sex zu haben oder was sonst sie im Schilde führen mochte.
Mir stand wieder vor Augen, wie eng sich ihre Jeans an ihren Hintern schmiegte und dass ihr immer wieder ein durchtriebenes Lächeln übers Gesicht huschte. Bestimmt war sie versaut.
Mehr als ein bisschen Geknutsche und zaghaftes Streicheln hatte ich bislang noch nicht mit einer Frau erlebt. Es war etwas, das ich schon immer einmal hatte ausprobieren wollen. Doch im entscheidenden Moment hatte mir stets der Mut gefehlt, den einen Schritt weiter zu gehen, auch wenn die Situation noch so vielversprechend gewesen war.
Beschwingt vom Prosecco und von Lauralynns offenkundigem sexuellem Selbstvertrauen, das anscheinend für uns beide reichte, sah ich ihr in die Augen.
»Er ist nicht mein Mann«, protestierte ich.
»Gut.«
Zehn Minuten später saßen wir auf dem Rücksitz eines schwarzen Taxis und fuhren zu ihr nach South Kensington.
Offenbar kam sie glänzend über die Runden, ging es mir durch den Kopf, als ich ihre Wohnung sah. Sie war natürlich alt, wie fast alles in London, und mit ihren drei Stockwerken etwas ganz anderes als die üblichen Zwei-Zimmer-Wohnungen, die ich bisher gesehen hatte. Die Inneneinrichtung entsprach meinen Erwartungen: alles weiß, elegant und in klaren Linien gehalten, kaum Tand oder irgendwelche Kinkerlitzchen. Es hätte leicht kalt wirken können, aber da es in Lauralynns rätselhafter Persönlichkeit eine humorvolle Note gab, nahm ich an, dass dieses unterkühlte Getue größtenteils
Weitere Kostenlose Bücher