80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
sie erzählte, klang wie die reinste Poesie, und ich errötete ein bisschen. Denn mir fiel ein, dass mir einmal jemand erzählt hatte, Dichter hätten die schöneren (oder waren es die längeren?) Schwänze. Ich konnte nicht leugnen, dass er mir gefiel und ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Seine Augen hatten eine magnetische Wirkung, und wenn er sich vorbeugte, um beinahe schon vertraulich mit mir zu sprechen, kamen seine breiten Schultern gut zur Geltung. Wir saßen über Eck, und manchmal berührten sich unsere Knie, oder seine Finger streiften meinen Ärmel, wenn ich die Hand nach der Sojasauce oder dem Wasser ausstreckte. Das war ein richtiger Mann, charmant und charismatisch und, wie mich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf unaufhörlich warnte, möglicherweise gefährlich; und ich umschwirrte ihn wie die Motte das Licht.
Als er mit mir hinaus auf die Straße trat und einem Taxifahrer Geld gab, damit er mich sicher nach Hause brachte und ich nicht mitten in der Nacht die unbequeme U-Bahn-Fahrt nach Brooklyn auf mich nehmen musste, rechnete ich fest damit, dass er nun für das Essen oder seine Freundlichkeit eine Art von Bezahlung einfordern würde. Von anderen Männern kannte ich, dass sie als Gegenleistung für ihre Großzügigkeit einen Kuss oder auch mehr wollten. Aber weder strichen seine Hände über meinen Po, noch wanderte sein Blick nach unten und versuchte zu erforschen, welche Geheimnisse sich wohl unter meiner neuen Bluse verbargen, die er mir geschenkt hatte.
Chey küsste mich nur zart auf die Wange, hielt mir höflich die Taxitür auf und versprach, mich anzurufen. Enttäuscht fuhr ich nach Hause. Ich fühlte mich zurückgewiesen und war ein bisschen sauer auf ihn. Denn ich war es gewöhnt, dass die Männer mich begehrten und mir das auch zeigten. So war ich im Lauf der Jahre zu der Auffassung gelangt, ein Rendezvous sei ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, und außerdem wäre es mir gar nicht unangenehm gewesen, ihm einen zu blasen – im Gegenteil. Sein kühles, galantes Benehmen hatte mich der Waffen beraubt, mit denen ich mir seine Gunst hätte sichern können.
Noch gereizter wurde ich, als ich feststellte, dass ich bei der Arbeit nach ihm Ausschau hielt, jedes Mal innerlich einen Satz machte, wenn die Ladenglocke bimmelte, und zur Theke eilte in der Hoffnung, er könnte der nächste Kunde sein.
Als er zwei Tage später in der Patisserie anrief, stäubte ich gerade Puderzucker auf die Windbeutel. Dabei musste ich höllisch aufpassen und durfte immer nur ganz zart ans Sieb klopfen, damit das Gebäck eine hauchdünne, gleichmäßige Zuckerschicht bekam, es sollte keinesfalls zu üppig oder widerlich süß werden.
Ob wir uns wieder mal treffen wollten? Ich willigte ein, und diesmal ging er mit mir in einen Film in dem großen Multiplex am Union Square. Ich hatte damit gerechnet, dass er mir die Hand aufs Knie legen oder mich während des Films umarmen würde, doch er blieb ganz Gentleman. Offenbar war er nicht der Typ, der eine Frau beim zweiten Rendezvous im Dunkeln befummelte.
Nach der Vorstellung gingen wir auf einen Kaffee zum University Place, und als wir die Bar verließen, zog er mich an sich und küsste mich kurz, aber gefühlvoll zart auf den Mund. Dann trat er einen Schritt zurück, lächelte und hob den Arm, um ein Taxi anzuhalten. Er setzte mich in den Wagen, schloss die Tür und bezahlte den Fahrer, damit er mich nach Brooklyn zurückbrachte. Wieder war ich ein bisschen enttäuscht. Der Kuss hatte mir Hoffnung auf mehr gemacht.
In den nächsten vierzehn Tagen wuchs meine Ungeduld noch, denn auch bei unseren zwei weiteren Rendezvous machte er keinen Verführungsversuch. Es schien, als würde er mich in aller Ruhe beobachten, einschätzen und mein ständig wachsendes Begehren gekonnt orchestrieren. Natürlich wollte ich nicht zu forsch wirken, aber meine Enttäuschung nahm zu. Er gefiel mir, und sein Flirten und die sinnlichen Küsse nach jeder Verabredung zeigten mir deutlich, dass auch er sich zu mir hingezogen fühlte.
Dann ließ er die Bombe platzen.
Er müsse überraschend geschäftlich in die Dominikanische Republik, erklärte er mir am Telefon.
Und er wollte, dass ich ihm hinterherreiste.
Als ich ihm gestand, dass ich wohl nie wieder einen Fuß in die USA setzen dürfe, wenn ich das Land verließ, rückte er damit heraus, dass ihm ab und zu ein Privatjet zur Verfügung stehe und auch die Beamten am Flughafen kein Problem darstellen würden. Für mich klang das so,
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