80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
…«
»Gern geschehen«, erwiderte er.
Als er mir dann »Alles Gute« wünschte, stutzte ich. »Woher wissen Sie, dass ich Geburtstag habe?« Mein Tonfall war nicht gerade freundlich, denn das Letzte, was ich brauchen konnte, war ein Stalker – vor allem einen mit trampeligen Freunden –, auch wenn er sehr gut aussah.
»Das wusste ich nicht«, entgegnete er mit einem Lächeln. »Herzlichen Glückwunsch.«
Er war schon halb aus der Tür, als meine Neugier siegte und ich ihn in meiner Muttersprache fragte: »Sind Sie Russe?«
Er blieb abrupt stehen, was die Frage gewichtiger machte, als sie gemeint gewesen war, und ich fühlte mich wie eine Idiotin. Wie eine naseweise Idiotin noch dazu. Wo ich es doch so sehr hasste, wenn andere herumschnüffelten.
»Nein«, antwortete er auf Englisch. »Ich spreche nur ein paar Brocken. Arbeitsbedingt.«
»Schade«, sagte ich. »Manchmal sehne ich mich nach meiner Muttersprache.«
Er schien über etwas nachzudenken. Ich bedauerte bereits, einem Fremden gegenüber so offen gewesen zu sein. Da ich in New York keine Freunde hatte, war ich mittlerweile ausgehungert nach Gesellschaft. Und jetzt hatte ich mich vor diesem Mann lächerlich gemacht. Inständig hoffte ich, ein neuer Kunde käme herein und würde mich aus meiner Verlegenheit befreien, aber die Ladenglocke schwieg.
»Darf ich Sie zum Essen ausführen, Luba?«, fragte er nach einer ganzen Weile. Er hatte das Namensschild an meiner Schürze gelesen. »Ich kann zwar nicht russisch mit Ihnen sprechen, aber Sie wären einen Abend lang nicht allein. Ich weiß, wie es ist, wenn man neu in einer Stadt ist. Und immerhin haben Sie Geburtstag.«
Ich hatte schon gehört, dass die Amerikaner direkter waren als Menschen in anderen Teilen der Welt, doch Chey war das erste lebende Beispiel dafür. Nun, wenn mich ein gut aussehender, angenehmer Mann zum Essen einlud, sagte ich ohne triftigen Grund nicht Nein. Also nahm ich die Einladung an.
Wir aßen im Sushi Yasuda in der East 43rd Street, umgeben von Bambustischen und Bambuswänden. Mir kam es vor, als wären wir in einen Tempel geraten, meilenweit entfernt von der ermüdenden Hektik am Times Square, der doch nur wenige Blocks entfernt lag. Hier probierte ich zum ersten Mal rohen Fisch. Natürlich trug ich seine Bluse, dazu einen schlichten schwarzen Rock und Pumps mit kleinem Absatz, die ich mir mal für Bewerbungsgespräche zugelegt hatte. Zu meiner Erleichterung war er ebenso leger gekleidet wie ich, mit einem schlichten, aber gut geschnittenen weißen Hemd und Jeans.
Während Chey mir zeigte, wie man Wasabi unter die Sojasauce mischte, erzählte ich ihm von meiner Kindheit und Jugend in der Ukraine. Im Gegenzug sprach er dann von seiner.
Sein Vater war Soldat gewesen. Darum war Chey auf Militärstützpunkten rund um die Welt aufgewachsen, wo er neben ein paar Brocken Russisch auch ein bisschen Deutsch und Spanisch sowie fließend Französisch und Italienisch gelernt hatte.
Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Bernsteinhändler, was ihm reichlich Gelegenheit bot, russisch zu sprechen, denn er hatte viel mit Händlern in Kaliningrad zu tun. Cheys Eltern waren beide tot, so wie meine. Sein Vater war jedoch nicht im Kampf gefallen, sondern bei einer Kneipenschlägerei ums Leben gekommen, als Chey fünfzehn war. Seine Mutter hatte sich kurz darauf das Leben genommen.
Danach hatte man Chey in ein Heim in New Jersey gesteckt, wo er bis zur Volljährigkeit leben sollte, doch er war abgehauen und hatte in einem Pfandhaus gejobbt. Da er wie eine Elster auf Schmuck erpicht war und ein Händchen fürs Geschäft hatte, war er bald in den internationalen Juwelenhandel eingestiegen. Später hatte er sich auf Bernstein spezialisiert.
Ich fragte ihn, warum er Fossilien den Vorzug gegenüber schöneren, beliebteren und zweifellos auch wertvolleren Steinen wie Diamanten und Rubinen gebe. Daraufhin erzählte er mir, er habe, als er mit sechzehn Jahren zum ersten Mal einen Bernstein gesehen habe – eine Litauerin hatte ihn in seinem Leihhaus verpfändet –, den Eindruck gehabt, ein Stück der untergehenden Sonne in Händen zu halten, so golden sei seine Farbe und seidig glatt die Oberfläche gewesen. In dem Stein sei ein winziges Tier eingeschlossen gewesen, tausende Jahre alt, und er, der junge Chey, habe sich gefragt, wie es wohl sei, in ein Gefängnis aus Licht gesperrt zu sein. Damit habe seine Liebesbeziehung mit diesem Schmuckstein begonnen.
Seine Lebensgeschichte, so wie er
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