80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
nie gesehen hatte, fragte ich mich, ob diese Fotos von mir vor dem Eingang der Academy morgen oder auch irgendwann später in der Presse erschienen.
Und ob Chey sie wohl sehen würde.
Um uns herum herrschte Chaos. Der Raum summte vor Aktivität, hektisch rannten Leute hin und her, die Teile des Equipments schleppten, etwas von Soundchecks riefen und Security und Fotos in letzter Minute anmahnten. Schon nach wenigen Minuten dröhnte mir der Kopf.
Viggos Aufmerksamkeit mir gegenüber war von einer Sekunde zur anderen wie weggeblasen, als hätte man ihn blitzartig in ein anderes Universum katapultiert. Hier war er in seinem Element, plötzlich sprühte er vor Energie und Begeisterung, während er wie ein Gockel vor seiner Band und der Crew herumstolzierte. Keine Spur mehr von dem kleinen Jungen, jetzt hatte der Rockstar seinen Platz eingenommen. Ich fand den raschen Wechsel verwirrend.
In einem geeigneten Augenblick schlüpfte ich aus der Tür und verdrückte mich in eine ungenutzte Garderobe am Ende des Gangs. Nachdem ich dem Security-Typen in der Eingangshalle ein bisschen um den Bart gegangen war, hatte er den Schlüssel herausgerückt. Zwar war es in dem Raum eng und stank nach kaltem Zigarettenrauch, doch es war ein sicherer Zufluchtsort, wo ich mich auf den einzigen, recht wackeligen Stuhl setzen und in Ruhe und Frieden ein, zwei Stunden in meinem Buch schmökern konnte.
Ich war ja eine tolle Rockerbraut. Wie wohl die Schlagzeilen lauten würden? Und welch eine Diskrepanz zur Realität, in der ich mich mit einem zerlesenen Taschenbuch von Glück gezahlt in kleiner Münze in eine leere Garderobe verkroch!
Ich war so in meine Lektüre vertieft, dass ich die von Viggo geförderte Vorgruppe verpasste. Als ich mich über den Gang hinter die Bühne schlich, fingen gerade die Holy Criminals an. Außer mir hielten sich noch zwei Frauen hinter dem Bühnenvorhang versteckt, die lächelnd miteinander flüsterten. Offenbar klärten sie gerade, wer von den Bandmitgliedern für wen infrage kam. Eine hatte wallende rote Locken und trug wie ich einen kurzen Jeansrock, eine Strumpfhose und eine weiße Bluse.
Irgendetwas an der Art, wie sie dastand, kam mir bekannt vor. Doch nachdem ich sie ein, zwei Minuten beobachtet hatte, wetzte ich durch einen Gang auf die andere Bühnenseite, wo ich allein sein würde. Ich hatte keine Lust, irgendwelchen Viggo ergebenen weiblichen Fans zu erklären, wer ich war.
Es war das erste Mal, dass ich Viggo singen hörte. Seine Proben fanden ja immer in seinem Studio in der Goldhawk Road statt, und da ich bisher zu viel Angst gehabt hatte, gemeinsam mit ihm fotografiert zu werden, war ich nie mitgefahren.
Seine Stimme war rau und verführerisch, aber ich hatte in der Garderobe des Grand schon Besseres gehört. Blanca hatte darauf geachtet, Mädchen anzuheuern, die nicht nur tanzen, sondern auch schmachtend singen konnten. Eine Tänzerin, die sich auf dem Flügel räkelte und dazu »Makin’ Whoopee!« sang, machte bei den Gästen eben enorm was her. Dass Viggo so erfolgreich war, verdankte er seinem Charisma und seinem unbestreitbaren Sexappeal. Und zweifellos auch einem Genie in seinem PR-Team, das sich hinter den Kulissen um Viggos Image in der Boulevardpresse kümmerte und so seinen Ruf als notorischer Womanizer zementierte.
Als ich ihn auf der Bühne sah, dachte ich wehmütig an die Tage zurück, an denen ich selbst im Rampenlicht gestanden hatte. Ich erkannte den Ausdruck auf Viggos Gesicht und erinnerte mich an die prickelnde Erregung, die mich erfasst hatte, wenn ich mich vor einem mir unbekannten Publikum entblößte. Dabei hatte ich mich weniger an der Nacktheit berauscht als an der Einladung an Fremde, mir in die Seele zu blicken, und daran, Menschen als Zuschauer zu haben, die ich, vom Scheinwerferlicht geblendet, nicht einmal sehen konnte.
Inzwischen war ich so weit, dass ich nach Viggos letzter Zugabe schnurstracks nach Hause fahren wollte. So würden wir dem Ansturm rasender Fans auf der Jagd nach einem Autogramm und den Journalisten entgehen, die auf ein gemeinsames Foto von uns scharf waren.
Doch als ich endlich wieder im Green Room war, hatte sich dort bereits eine Unmenge von Leuten um Viggo geschart. Also verzichtete ich darauf, mich zu ihm durchzukämpfen, und bat stattdessen den langhaarigen Roadie mit dem Autoschlüssel, mich nach Hause zu bringen. In diesem Augenblick beschloss ich, schon bald den Führerschein zu machen, um in solchen Situationen nicht mehr auf
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