80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
Glück angewiesen zu sein.
Erst in seinem Haus in Belsize Park sah ich, dass Viggo mich angerufen und mir eine Nachricht hinterlassen hatte.
»Hey, Babe«, raunte er zärtlich. »Ich komme mit ein paar Leuten. Würdest du für uns tanzen?«
Einen Augenblick erstarrte ich vor Schreck, aber dann fand ich Gefallen an der Idee. Seit Amsterdam hatte ich nicht mehr vor Publikum getanzt. Der schwelende Funke in meinem Innern entflammte ein Feuer, das sich langsam in mir ausbreitete. Die Aussicht erregte mich, und die leise Angst, dass etwas schiefgehen könnte, spornte mich an. Nein, mir ist nicht bang, sagte ich mir. Und sollte es dennoch einen Rest von Beklommenheit geben, würde ich ihn mit tanzenden Füßen niedertrampeln.
Als sie eintrafen, erwartete ich sie bereits in Positur und hatte fast schon einen Wadenkrampf. Ich hatte mich entschieden, in dem riesigen Raum im zweiten Stock der Villa zu tanzen, der wie ein Harem eingerichtet war. Im Vergleich zu dem kargen, geradezu spartanisch wirkenden Erdgeschoss war das hier eine andere Welt, mit dicken Teppichen, Kronleuchtern und antiken Möbeln. Aber vor allem stand in der Mitte ein Brunnen, den ich mir als Bühne ausgesucht hatte. Wasser schenkte mir immer Gelassenheit. Zwar hatte ich in dem Brunnen nicht sehr viel Platz für meine Tanzfiguren, aber es sollte nur ein kurzer Auftritt werden, bei dem ich nicht meine athletischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, sondern die Illusion einer langsam zum Leben erwachenden Brunnenfigur erschaffen wollte.
Die ersten Klänge von Debussys »La Mer«, meinem gewohnten Eröffnungsstück, hatten mich sonst immer besänftigt, doch jetzt ließen sie mein Herz schneller schlagen. Bilder blitzten vor mir auf. Das Peitschenknallen der Zirkusdirektorin. Der Einzug der Tiere. Der schwere Duft tropischer Pflanzen. Farn, der mir über die Haut streicht. Ein Fremder packt mich am Arm. Heißer Atem in meinem Gesicht.
Aber für einen Rückzieher war es zu spät. Ich hörte bereits Stimmen auf der Treppe. Eine bunte Mischung verschiedener Akzente: australisch, amerikanisch, britisch, der skandinavische von Dagur, dem isländischen Schlagzeuger, und natürlich Viggos gepflegtes Englisch. Mein unbekanntes Publikum war eingetroffen, und Viggo hatte Wort gehalten: Es war sehr überschaubar.
Mit geschlossenen Augen stand ich reglos da und bezähmte meine Nerven. Ich ignorierte die Schrecken, die sich wie giftige Ranken um mich schlingen und mich erdrosseln wollten. Stattdessen konzentrierte ich mich auf meine ersten Erinnerungen an diese Melodie. Ich hatte sie das erste Mal mit Chey gehört und dann zu ihr für ihn und nur für ihn getanzt. Die impressionistischen, fast glasklaren Klangsplitter hatten mich durchdrungen, und mein Körper war ihrem Rhythmus wie eine Welle der anderen gefolgt.
An diesem Abend tanzte ich weich und sanft, ich war das seichte Wasser in einer gut geschützten Bucht und tanzte nur für mich. Nur für Chey.
Als ich die Augen öffnete, erblickte ich die Rothaarige, die zuvor bei Viggos Auftritt hinter der Bühne gestanden hatte. Und plötzlich fiel mir ein, wo ich sie schon einmal gesehen hatte. Sie war es, die in der Neujahrsnacht in New Orleans im Place getanzt hatte. Und die am Abend zuvor meine Zuschauerin gewesen war.
Ihr Blick streifte meine Möse, und als sie das Tattoo entdeckte, weiteten sich ihre Augen. Auch sie erkannte mich.
Unsere Blicke trafen sich, und ich lächelte sie an.
Viggo hatte genügend Bühnenerfahrung, um das Licht auszuknipsen, kaum dass die Musik verklang, ohne dass ich ihm ein Zeichen geben musste. Im Schutz des theatralischen Dunkel entschlüpfte ich durch die Hintertür. Unbeholfen aus dem Brunnen zu klettern und meinen Abgang vor den Augen des Publikums zu machen, hätte den Zauber meiner Darbietung zerstört.
Rasch warf ich mir ein langes schwarzes Chiffonkleid über, ohne mich groß mit Slip oder BH aufzuhalten. Ich wollte möglichst schnell zurück zur Party und mehr über die Rothaarige und den Mann erfahren, der sie an jenem Abend begleitet hatte. Es hatten mich ja gerade ohnehin alle splitternackt gesehen. Obwohl die Vorführung vorbei war, glaubte ich allerdings, meinem Publikum ein bestimmtes Erscheinungsbild schuldig zu sein. Jetzt in Jeans und T-Shirt bei ihnen aufzutauchen, hätte den Nimbus beschädigt, den der Name Luba von nun an für sie haben sollte.
Die junge Frau unterhielt sich mit einem der Musiker von Viggos Vorgruppe, die ich verpasst hatte. Sie wirkte
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