80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
bestimmt und mit speziellen, nicht weniger monströsen Maschinen ausgestattet.
Der Brite verließ die für Passanten zugelassenen Wege und bewegte sich zwischen den haushohen Kranen, den hin und her fahrenden Containerbrücken, den Hubstaplern und Förderbändern. Überall wimmelte es von fluchenden und schwitzenden, an armdicken Tauen ziehenden Männern. Die Erkenntnis, alles tun zu können, sich in jede Gefahr begeben zu können, ohne Schaden zu nehmen, hatte nichts Aufregendes oder Abenteuerliches an sich. Es war eine schwere, bedrückende Stimmung, die sich in ihm breit machte, das Gefühl, gestorben zu sein und an nichts mehr teilnehmen zu können, was diese Welt ausmachte.
War er nicht tatsächlich schon tot? War es nicht ein verrücktes Wunschdenken anzunehmen, man könne tot auf Probe sein?
Eines schien sicher: Spätestens wenn er die Wette nicht erfüllte, hatte er sein Leben verwirkt. Er stellte sich vor, wie einfach es sein würde, ungesehen auf eines dieser Schiffe zu gelangen. Doch welches davon würde ihn in achtzig Tagen um die Welt bringen? Keines alleine, soviel stand fest. Außerdem: Wenn es auf dem Schiff, in das er sich einschlich, Menschen gab, die ihn sehen konnten, mochte eine Panik ausbrechen. Man würde ihn für den Klabautermann halten.
Bestimmt war es ein Fehler gewesen, den Hafen aufzusuchen. Ehe er sich auf ein Schiff begab, musste er eine Route planen. Phileas Fogg aus Vernes Roman hatte als erstes ausgiebig die Eisenbahn bemüht, um von London nach Paris, von dort nach Turin und anschließend ins süditalienische Brindisi zu gelangen, wo er aufs Schiff nach Bombay stieg. Von der Fähre abgesehen, die ihn und seinen Diener von Dover nach Calais brachte, hatte Fogg erst einmal viele Hunderte von Meilen auf der Schiene zurückgelegt. Sir Darrens Ausgangspunkt war nicht London, sondern Amsterdam, und er durfte den Zug nicht benutzen.
Wie fand er am schnellsten heraus, welche Schiffsverbindungen für ihn in Frage kamen? Er hatte behauptet, in den Adern jedes Briten fließe Seefahrerblut, und selbstverständlich hatte er einige der wichtigsten Schiffsrouten der Welt im Kopf, doch dieses Wissen würde ihm nicht viel nutzen, solange er die genauen Fahrzeiten nicht in Erfahrung brachte.
Während er ohne Ziel weiter die Hafenanlagen ablief, versuchte er sich die Entfernung vorzustellen, die vor ihm lag. Einmal um die Erde – vielleicht war das eine größere Reise als jene vom Diesseits ins Jenseits. Für ihn jedenfalls konnte es beides werden, eine Fahrt um die Welt und in den Tod.
Achtzig Tage …
Zunächst registrierte er das Schiff kaum, welches nun hinter dem glänzenden schwarzen Bauch eines gewaltigen Frachters auftauchte. Es schien nicht hierher zu gehören. In den Augenwinkeln sah es nicht einmal wie ein Schiff aus, war beinahe ein weißer Fleck, einem Wolkengebilde ähnlich, doch beim näheren Hinsehen dunkelte es allmählich nach, wie eine Fotografie, die eben erst aus der Sofortbildkamera gekommen war. Aus der weißen Farbe wurde ein schimmliges, fauliges Grau, mit Flecken besudelt und verwaschen.
Es handelte sich um ein historisches Schiff, für sich gesehen ein stattliches Gebilde, doch neben den modernen Giganten nahm es sich fast wie eine Miniatur aus. Es war eine Yacht, wenn Sir Darren sich nicht täuschte, nicht im heutigen Sinne des Wortes, sondern in der ursprünglichen Bedeutung – ein leichtes, prachtvolles und besonders schnelles Schiff mit gerundetem Rumpf. Zu den Zeiten der Dutch East Indian Company im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hatte man Yachten häufig als Handelsschiffe eingesetzt. Viele von ihnen waren bis nach Ostasien gereist, hatten Gewürze und andere Kostbarkeiten der Zeit befördert. Vor allem auf der Rückreise nach Europa waren sie voll beladen gewesen und hatten den Reichtum Hollands und anderer Länder begründet.
Dieses Schiff hatte hohe Masten und schmale Segel und machte einen schlanken und wendigen Eindruck. Je näher er ihm kam, desto mehr spürte er seine Größe. Eine elegante Art von Größe war es, wie die eines prunkvollen Turmes. Einige unbefestigte Ecken der eingeholten Segel flatterten im Wind.
Dass dieses Prachtstück zwischen den modernen Frachtern ankerte, verblüffte ihn. Er konnte es nicht einordnen.
In den meisten großen Häfen gab es Museumsschiffe zu bestaunen, sauber hergerichtete Zeugen vergangener Zeitalter. Man konnte sie fotografieren oder sogar von innen besichtigen. Allerdings fand man solche Schiffe an
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