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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Fokke?“
    „Nein!“, brüllte der Seebär. „Hast du keine Augen im Kopf? Ich bin die Prinzessin Scheherazade, verflixt will ich sein! Jetzt komm endlich an Bord und verrate mir, woher du den alten Käpt’n kennst, wird’s bald, du ungezogener Lümmel?“
    Eine Planke führte an Bord, nichts als ein krummes Stück Holz, so lang und dünn, dass es fraglich war, ob eine ausgewachsene Katze darüber schleichen konnte, ohne es zu zerbrechen. Sir Darren ging darauf zu und stellte den Fuß auf das Ende, das auf dem Kai auflag. Es war unmöglich, über diesen astgleichen Steg zu gehen. Unmöglich für einen lebenden Menschen. Der Brite setzte einen Schritt vor den anderen. Über ihm flatterten Segel im Wind, Taue schwangen hin und her und klatschten gegen die Masten. Die Rahen knarrten.
    Auch die Planke knarrte und federte. Unter ihm war jetzt Wasser. Die ersten Schritte hatte er trotzig und konzentriert gemacht, ganz im Bewusstsein, dass ihm nichts geschehen konnte. Nun breitete er plötzlich die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Er konnte nicht verhindern, dass er es tat. Es war ein Instinkt. Vorsichtig blieb er stehen und drehte sich um. In der Ferne erkannte er wieder das junge Paar. Das Mädchen sah noch immer zum Schiff herüber. Konnte sie auch ihn wahrnehmen, wie er die Planke empor balancierte? Er durfte nicht fallen, ihr zuliebe nicht. Sie würde herbeigerannt kommen, wenn sie ihn ins Wasser stürzen sah. Selbst wenn ihm dabei nichts zustoßen würde, er durfte nicht riskieren, dass sie dem Schiff zu nahe kam und sich dadurch in Gefahr brachte.
    Auf den letzten Metern sah er die Planke und das Wasser nicht mehr und hörte auch das Knarren des Holzes und das Rauschen der Segel nicht. Der Anblick des Kapitäns vereinnahmte ihn vollkommen.
    Er hatte die Beschreibungen gelesen, die die Geschichten über Kapitän Fokke gaben. Sehr detailliert waren sie nicht ausgefallen. Ein hässlicher, grober Kerl sollte er gewesen sein, von abstoßendem Äußerem und rohen Umgangsformen. Er hatte eine gewisse vage Vorstellung von ihm gehabt, wie man sie von Figuren aus Romanen hatte, ehe eine Verfilmung sie mit den Gesichtern der Schauspieler füllte. Nun gewann diese Vorstellung an Schärfe. Und er musste sich eingestehen, dass ihm auf Anhieb kein Schauspieler eingefallen wäre, der diesen Menschen adäquat hätte wiedergeben können. Der beste Mime konnte diese Zerrissenheit nicht darstellen, und die teuerste Maske das Monströse in seiner Physiognomie nicht abbilden.
    Der Kapitän war von ausgesprochen breiter Statur, ohne dick zu sein. Seine Knochen schienen einem Riesen zu gehören, doch seine Haut spannte sich trocken darüber und ließ keinen Fleischansatz erkennen. Wäre sein Gesicht nicht von dem zottigen schwarzen Bart und den langen Haarsträhnen zu drei Vierteln bedeckt worden – sein leichenhafter Anblick wäre unerträglich gewesen. Seine wasserblauen Augen waren sehr lebendig, sie flackerten mit rasch wechselndem Temperament, und sie anzusehen war, als starre man in einen elektrischen Sturm hinein. Ihre Bewegung wirkte bis in die zerfurchten Wangen hinunter und bis auf die unebene Stirn hinauf. Unregelmäßige Zuckungen liefen über das asymmetrische Gesicht, und sie hatten ihren Ursprung in den Augen, die wie zwei Batterien waren.
    Fokke reichte dem Briten die Hand. Sein knochiger Griff war wie der Händedruck einer Maschine. Sir Darren hatte vor Jahren einmal auf einer Messe einem hünenhaften Roboter die Hand gegeben, und an diesen Moment erinnerte er sich jetzt.
    „Du bist kein Moses, kein Schiffsjunge, du bist ein Mann!“, stellte der Kapitän fest, als er ihn mit einem Ruck an Bord zerrte. Aus seinem Mund schien Staub zu strömen, wenn er sprach. „Nein, du bist kein Mann, du bist ein Knittergreis! Verflucht, die Augen … die werden nicht besser. Hätte dich glatt für einen jungen Hüpfer gehalten, so eine hochgeschossene Bohnenstange. Und merkwürdige Klamotten trägst du. Sprich‘s aus, alter Junge! Was führt dich her?“
    Sir Darren hatte zu tun, sich dem kräftigen Händedruck zu entwinden, der immer mörderischer zu werden schien, während er sprach. Noch ehe ihm eine Erwiderung einfiel, fuhr der Kapitän fort: „Hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal Land sehe, nach all diesen Nächten auf See. Und dann fahr’ ich in den Hafen ein, und keine Seele ist da, um mich zu empfangen. Kannst du dir das vorstellen? Ich wusste schon nicht mehr, wie ein Hafen aussieht. Ein Hafen ist etwas,

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