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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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hinter sich gelassen hatte und wieder auf derselben wundersamen Brise zu reiten begann, die sie von Holland bis zur Südspitze Afrikas geführt hatte.
    Für Sir Darren stellte das kaum eine Erleichterung dar. Die Erlebnisse hatten ihre Spuren in ihm hinterlassen. Häufige Blicke auf die Datumsanzeige der Armbanduhr taten ein übriges. Fünf Wochen waren seit ihrer Abreise vergangen, und noch immer waren es über zweitausend Meilen bis Indonesien. Wenn sie Glück hatten, erreichten sie gerade einmal Java innerhalb der Achtwochenfrist. Dort würde seine Reise enden – oder vielmehr: seine Wanderung durch die Ewigkeit würde beginnen. Er würde endgültig tot sein, ein ruheloser Geist für alle Zeiten. In Jules Vernes Abenteuerroman war die Reise zügiger verlaufen, und alle Hindernisse waren rasch überwunden gewesen.
    „Wir haben viel Zeit im Sturm verloren“, meinte der Kapitän eines Abends zerknirscht zu ihm. „Ich weiß, aber ohne Sturm lässt er uns das Kap nicht umschiffen. Er tut es, um uns einzuschüchtern. Eine kleine Erinnerung an das Unwetter, in dem ich ihm meine Seele dafür verschrieben habe, das Kap unbeschadet passieren zu können. Ich hatte wichtige Ladung an Bord und musste bedeutenden Persönlichkeiten in Holland versprechen, die Ware sicher nach Amsterdam zu bringen. Ohne den Pakt wäre ich niemals aus dem Sturm herausgekommen.“
    „Ihre Seele?“, hakte Sir Darren nach.
    „Was weiß unsereins schon über Seelen?“, raunte Fokke verschwörerisch. „Bin ich ein Pfaffe? Ich dachte, ich hätte noch ein langes Leben vor mir, und was kümmerte mich, was nach meinem Tod mit dem bisschen Herz geschehen würde, dass ich in mir hatte? Aber er nahm meine Seele sofort, auf der Stelle, meine und die der anderen Seeleute, und seither zappeln wir an seinem Haken. Wir bereisen die Meere, und die Brise ist ein Teil des Schiffes, aber wehe, er verspürt Hunger – dann müssen wir ein Schiff versenken. Und wehe, wir nähern uns dem Kap – dort lässt er uns spüren, was eine Hölle ist.“
    „Gibt es nichts, was den Fluch aufheben kann?“
    „Meine Seele gehört ihm bis zum Tag des Gerichts.“ Der Kapitän verwendete den englischen Begriff Judgment Day . „Bis dahin habe ich sie ihm versprochen. Danach bin ich wieder frei. Aber ich glaube nicht mehr, dass es ein Danach gibt. Ich glaube längst nicht mehr an Gott, und ohne Gott kein verflixter Tag des Gerichts, nicht wahr?“
    Sir Darren dachte lange darüber nach, aber natürlich fand er keine Lösung. Die Zeiger auf seiner Uhr drehten sich munter im Kreis, als wären sie von einer rasenden Melodie verzaubert worden, und im Handumdrehen näherte sich die siebte Woche seiner Reise dem Ende entgegen.
    „Land!“, rief einer der holländischen Seeleute, und der Kapitän kam zu seinem Passagier gelaufen und übersetzte es auf eine überraschend liebenswürdige, aber zerstreute Art ins Englische: „Er sagt, er sieht Land!“ Dann fügte er hinzu: „Das ist Java, ohne Frage. Sieben Wochen für die Strecke – das macht mir keiner nach.“
    „Und mir bleibt eine Woche für den Rest der Welt“, murmelte Sir Darren abwesend.
    Fokke sah ihn an, als wäre ihm das die ganze Zeit über nicht bewusst gewesen. „Das ist höllisch wenig Zeit. Wir müssen uns etwas einfallen lassen“, sagte er.
    Der Dozent ließ nur die Schultern sinken. Was sollten sie sich einfallen lassen? Selbst wenn die Libera Nos ihn weiter um die Erde trug, würden sie dafür mindestens weitere zwei Monate brauchen.
    „Steuern wir Batavia an“, sagte der Kapitän. „Ich habe Jahrhunderte lang versucht, in einen Hafen einzufahren, aber der Wind hat mich immer wieder aufs Meer hinausgetrieben. In Amsterdam hat es erstmals wieder hingehauen, und ich denke, dass es mit dir zusammenhängt, Junge. Mit dir an Bord wird mein Schiff auch in Batavia anlegen können. Herrgott, wie die Stadt sich verändert haben muss …“
    Sir Darren sagte nichts. Warum sollten sie nicht anlegen? Auf diese Verzögerung kam es nicht mehr an. Was für einen Unterschied machte es, ob Jakarta zu seiner Endstation wurde oder irgendein namenloser Fleck im Ozean?
    Eigentlich hätte es viele Dinge geben müssen, die seinen scharfen Verstand beschäftigten. Die Tatsache, dass das Geisterschiff des Fliegenden Holländers, das zur ewigen Fahrt über die Meere verdammt war, plötzlich in Häfen einfahren konnte, hätte ihn zu Theorien reizen sollen. Oder der Umstand, dass die Libera Nos hier, wie schon im IJsselmeer vor

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