9 SCIENCE FICTION-STORIES
Skala moralischer Werte ausgeben. Ich glaube, wir haben gute Arbeit geleistet. Vielleicht zu gute Arbeit.«
Er beugte sich über den Tisch und klopfte mit seinem harten, dünnen Finger auf die Papiere.
»Sie haben keinen Selbstmord begangen«, sagte er. »Ihr Leben war ihnen nur verdammt egal. Sie hatten es satt – wie ich. So lebten sie leichtsinnig. Vielleicht hegten sie insgeheim immer die Hoffnung, daß sie ertrinken würden, wenn sie nicht mehr nüchtern waren, daß ihr Wagen an einem Baum landen würde oder …«
Er richtete sich auf und sah sie an.
»Meine Herren«, sagte er. »Ich bin 5786 Jahre alt. Ich wurde am 21. September 1968 in Lancaster, Maine, auf dem Planeten Erde geboren. Ich habe siebenundfünfzig Jahrhunderte lang der Menschheit gedient. Sie können sich meinen Lebenslauf ansehen. Aufsichtsräte, Kommissionen, Präsidentenstellen, diplomatische Funktionen. Keiner kann sagen, daß ich meine Pflichten vernachlässigt hätte. Ich behaupte, daß ich jede Schuld bezahlt habe, die ich der Menschheit gegenüber haben könnte … selbst die gutgemeinte Sache mit der Unsterblichkeit.«
»Es wäre gut, wenn Sie es noch einmal überdenken würden«, sagte Riggs.
»Ich bin ein einsamer Mann«, erwiderte Young. »Ein müder, einsamer Mann. Ich habe keine Freunde. Es gibt nichts mehr, was mein Interesse fesseln könnte. Ich hoffe, daß ich Sie dazu bekehren kann, in Fällen wie dem meinen die Verantwortung zu übernehmen. Eines Tages finden Sie vielleicht eine Lösung dieses Problems, aber bis dahin bitte ich Sie im Namen der Barmherzigkeit, uns die Last unseres Lebens abzunehmen.«
»Unserer Meinung nach liegt das Problem darin, die geistige Perspektive auszulöschen«, sagte Riggs. »Wenn jemand wie Sie, Sir, mehr als fünf Jahrtausende gelebt hat, ist sein Gedächtnis überladen. Die Erinnerungen summieren sich und kämpfen gegen die Gegenwart und Zukunft an.«
»Ich weiß«, sagte Young. »Ich erinnere mich, daß wir in den frühen Tagen dieses Problem auch anschnitten. Es wurde erwähnt, als wir die Unsterblichkeit in die Praxis umsetzten. Aber wir dachten, daß die Erinnerungen von selbst verlöschen würden, daß das Gehirn nur eine bestimmte Anzahl von Erinnerungen behalten und den Rest abstoßen würde. Das hat sich als falsch erwiesen.«
»Erinnerungen werden im Innern vergraben«, sagte Riggs. »In den alten Tagen, als die Menschen im Höchstfall hundert Jahre alt wurden, glaubte man, daß sie für immer vergessen waren. So machte sich der Mensch keine allzugroßen Sorgen über die Erinnerungen, als er die Unsterblichkeit erlangte. Er dachte, er würde sie vergessen.«
»Er hätte es wissen müssen«, widersprach Young. »Ich kann mich an meinen Vater erinnern, und ich erinnere mich deutlicher an ihn als an Sie, meine Herren, sobald ich diesen Raum verlassen habe … Ich weiß, daß mein Vater als alter Mann sagte, er könne sich an Dinge erinnern, die in seiner Kindheit geschehen waren und die er in jüngeren Jahren vergessen hatte. Schon das hätte uns einen Hinweis geben sollen. Das Gehirn vergräbt die neueren Erinnerungen sehr tief – sie sind für uns nicht erreichbar. Sie beunruhigen uns nicht, weil sie ungeordnet und ohne Zusammenhang gesammelt wurden. Doch sobald sie einmal ordentlich eingereiht und verarbeitet sind, kommen sie alle zugleich hervor.«
Riggs nickte zustimmend.
»Das Gehirn braucht sehr lange, bis es die Daten verarbeitet. Mit der Zeit werden wir das abschaffen.«
»Wir haben es versucht«, sagte Stanford. »Wir haben es mit den gleichen Methoden wie bei der Selbstmordverhütung versucht. Aber hier versagten sie. Denn das Menschenleben baut auf den
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