9 Stunden Angst
weil auf die Weise das obere Ende des Rückenmarks zerstört wurde, was den sofortigen Tod nach sich zog.
Endlich würden sich die jahrelangen Zielübungen mit seiner geliebten Waffe auszahlen. Er durfte auf keinen Fall vergessen, leicht nach links zu zielen. Eigentlich konnte er das gar nicht mehr vergessen, weil es ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen war.
Dort jenseits der Verbindungstüren sah er sie vor sich, die Stelle, die er treffen musste: Tommys Bartstoppeln über dem Mund. Während Tommy weiter auf seinem Laptop herumtippte, sah sich Varick wieder nach den Geiseln um, die sich hinter ihm zusammenkauerten. Der dicke Mann, der ihn angesprochen hatte, als er durch den Waggon nach vorne gegangen war, starrte ihn an, und ihre Blicke trafen sich. Varick nickte ihm zu. Der richtige Zeitpunkt war gekommen.
Er drehte sich wieder zum ersten Waggon um, trat vom Fenster zurück und hob die Waffe. Wenn er das Visier auf Tommys linke Wange richtete, würde ihn die Kaliber-38-Patrone direkt unterhalb der Nase treffen. Sie würde ein sauberes Loch durch seinen Kopf schlagen und ihn schon getötet haben, bevor sein Körper den Boden des Waggons berührte.
Vater im Himmel, sorge dafür, dass ich, dein demütiger Diener, eine ruhige Hand beweise, wenn ich meinen Bruder Tommy Denning vertrauensvoll in deine Obhut gebe und dich um Vergebung für seine Sünden bitte, denn er weiß nicht, was er tut.
Das musste reichen. Ihm blieb nicht viel Zeit. Tommy konnte jeden Moment den Blick heben.
Er drückte ab, und seine Hände federten den Rückstoß ab, während die Kugel ihren gottgewollten Weg antrat. Nachdem sich der Rauch gelichtet hatte, sah er, wie Tommy zu Boden sank. Er hatte getroffen. Aus der Kopfwunde waren Blut und Knochensplitter durch den ganzen Waggon gespritzt. »Gesichtstrümmer« hätten seine ehemaligen Kollegen vom New Orleans Police Department diese Sauerei genannt. An einer Blutspur am Fenster rutschte sogar ein Zahn herunter und landete mit einem leisen Klicken auf dem Boden.
12.16 Uhr
U-Bahn-Leitstelle St. James’s
Die Information, dass Denning dabei war, den Tunnel zu fluten, war keine Überraschung mehr für Ed. Das hatte er dem Mut des U-Bahn-Fahrers zu verdanken. Dennoch schockierte ihn die ruhige, wohldurchdachte Art, mit der Denning seinen Plan vortrug. Die Anspannung in der Verhandlungszelle stieg auf ein beinahe unerträgliches Maß. Die Helikopter, die über der Charing Cross Road kreisten, wirkten lauter als vorher, das Knattern ihrer Rotorblätter hartnäckiger. Regierung und Sicherheitskräfte standen vollkommen entblößt im grellen Licht der Medienaufmerksamkeit. Wie auch immer das Geiseldrama im Tunnel zwischen Leicester Square und Tottenham Court Road ausgehen würde, es würde Vorwürfe hageln. Und wenn die Versuche der Befehlshaber, sich herauszureden und den Schwarzen Peter weiterzugeben, nicht erfolgreich waren, würden Köpfe rollen. Ed Mallory steckte mit drin, und sein Kopf war ebenfalls gefährdet.
Nachdem Dennings Brandrede vorbei war, kam Laura ins Zimmer, um ihnen mitzuteilen, dass die Mitglieder des Krisenkomitees die Livebilder aus dem Zug ebenfalls gesehen hatten und immer mehr dazu tendierten, die Tommy-Denning-Show abzuschalten. Hooper war derselben Ansicht.
»Der Druck auf Serina Boise steigt«, berichtete Laura.
»Wenn Sie mich fragen, sollten wir die Internetverbindung aufrechterhalten«, sagte Ed. »Sie haben gehört, was Denning gesagt hat: Wenn die Verbindung in irgendeiner Weise unterbrochen oder gestört wird, fängt er an, Fahrgäste umzubringen. Außerdem spricht vieles dafür, dass er Waggons in die Luft sprengt, wenn wir ihm den Sauerstoff, sprich die Medienaufmerksamkeit, entziehen. Wenn wir ihm die Möglichkeit rauben, seine kranke Show abzuziehen und die Zuginsassen langsam umzubringen, tötet er sie vielleicht lieber sofort per Knopfdruck. Daher plädiere ich für die Option, die uns am meisten Zeit verschafft: ihn weiterreden zu lassen.«
»Da kann ich Ihnen leider absolut nicht zustimmen, Ed.« Hooper klang jetzt streitlustiger als je zuvor. Ed hätte ihm gerne unmissverständlich klargemacht, dass ihn seine Meinung einen Dreck interessierte, wusste aber, dass eine derart offene Zurschaustellung seiner Feindseligkeit schlecht für die Teammoral gewesen wäre.
»Dann müssen wir wohl damit leben, unterschiedliche Ansichten zu vertreten«, sagte er lapidar. »Ich finde jedenfalls, dass die Leitung offen bleiben sollte. Sie ist unsere
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