90 Tage auf Bewaehrung
Gefühlen, die uns Menschen ausmachen. Sabrina jaulte in dieser Sekunde noch mal auf wie ein Rehpinscherwelpe ohne Mamis Zitze.
Also jetzt ist langsam mal Schluss hier. Ich schob sie beherzt von meiner inzwischen total durchnässten Seidenbluse (die Farbe passte sowieso nicht zu meiner neuen Haartönung!) und holte eine Packung Kleenextücher. »Ich will jetzt wissen, was passiert ist!« Resolut platzierte ich sie aufs Sofa, drückte ihr ein Kissen in den Rücken und eines zwischen die Hände und sah ihr aufmunternd ins Gesicht.
»Okay. Also... ist mir ein bisschen peinlich. Du weißt doch, dass der Uli so äh, also äh, also im Bett... So ein bisschen anders ist. Der ist total frei. Der traut sich was. Der hat keine Hemmungen, keine Komplexe, lebt die freie Liebääääää...« mehr kam im ersten Anlauf nicht raus. Sie heulte schon wieder.
»’n Tee? Yogi-Tee hilft immer, Spätzchen.« Nach zwei weiteren Stunden hatte ich dann das Puzzle so ungefähr zusammengesetzt. Um es kurz zu machen: Er war ein Anhänger der hiesigen Swingerclub-Gemeinschaft. Sie kannten inzwischen jedes Etablissement zwischen Berlin und Hamburg. Sie war auch anfangs aus Neugier gern mal mitgegangen. Nur so, an der Bar stehen, Salzstangen knabbern, Cocktails süffeln und mit hochrotem Kopf gucken - und das möglichst so, als sähe sie nicht überredet, sondern überzeugt aus von dem, was die anderen so zu bieten hatten.
Im Grunde ist Sabrina eine sehr bodenständige Person, die wildem, hemmungslosem Sex nicht wirklich was abgewinnen
kann. Sie dachte bei der Blümchen-Nummer in erster Linie mehr an Verhütung als an Lust. Und dann so was. Eigentlich wollte sie mit ihm nie wieder in irgendwelche Clubs, da überreichte er ihr ein großes, wunderschön verpacktes Geschenk.
Ein Strauß bunter Skurrilitäten aus der letzten Beate-Uhse-Jahreskollektion. Eine Lackhose mit Loch, Handschellen, irgendein Gummiring, den er sich irgendwo da unten rummacht, damit er länger kann (das Teil war nach Sabrinas Beschreibungen ganz hübsch - zunächst hielt sie es allerdings für ein Armband), eine Augenbinde aus Gummi, zwei Riesenmurmeln..., na ja und so weiter. Sie schluckte ihren Schreck runter und dachte munter: Gut, vielleicht wird’s ja mit der passenden Ausrüstung irgendwie netter. Skifahren macht ja auch nur Sinn mit Skiern.
Doch was sie dann erleben musste, überschritt definitiv ihre Geschmacks- und Leidensgrenze: Er vögelte vor ihren Augen erst die eine andere, dann die nächste andere, dann die dritte andere... Zwischendurch brachte er ihr einen rothaarigen Versicherungsangestellten mit Schmerbauch vorbei, der in seiner Freizeit auch als Straps-Vertreter durch Deutschland tingelte - Einzugsgebiet Nordwest - und der an diesem Abend nun auch mal ihr eine intensive Beratung geben wollte. Er fragte doch tatsächlich: »Darf ich Ihnen Geschlechtsverkehr anbieten?« (durch und durch höflicher Vertreterton), und die geschockte, aber wohlerzogene Sabrina antwortete stotternd: »Das ist sehr nett, dass Sie fragen, aber danke. Heute nicht.«
Seit diesem Vorfall weinte sie, bis jetzt. Ununterbrochen. Sie hatte weinend ihre Klamotten gegriffen, weinend ein Taxi gerufen, weinend meine Nummer gewählt und saß nun bei mir - ihre Augen kaninchenrot, die Tränenkanäle ordentlich
durchgespült, die Nase verstopft, das Entsetzen grenzenlos und das Herz gebrochen.
Ich nahm sie an die Hand und schleppte sie und Ella in den Park. Frische Luft tat uns jetzt allen gut. Und so hing jede ihren eigenen Gedanken nach.
Man lernt jemanden kennen, verliebt sich, findet ihn super und verdrängt natürlich jede Vermutung über dunkle Seiten, die man nun mal nicht so super finden könnte. Einer von Sabrinas Ehemännern zum Beispiel war der beste Freund von Johnny Walker und hat sie fast in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, weil er in jeder zweiten Pinte auch mal Lokalrunden warf - von ihrem Geld.
Ronja hatte mal einen, der war so gestört und voller dunkler Seiten, dass sie vor Nachtblindheit gar nichts mehr erkennen konnte. Er war alles, wirklich! Koksabhängig, bulimisch, Puffgänger, Lügner, Betrüger. Er hatte neben ihr eine Geliebte und eine Freundin - fragen Sie mich bitte nicht nach dem Unterschied und wie er das alles gemanagt hat. Außerdem hat er sich immer heimlich seine Beine mit Selbstbräuner eingeschmiert - wenn Sie mich fragen, war das das Geschmackloseste von allem! Er war ein so geschickter Taktierer und Lebenslügner, dass er Ronja fast um den
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