90 Tage auf Bewaehrung
bedeutungsschwangerer Miene vor Bildern stehend, nie lächelnd, mit Frisuren, die bestimmt unheimlich en vogue sein sollten und auf mich einfach nur schlecht gekämmt und ungewaschen wirkten. Dazu kam unsägliches intellektuelles Geschwätz über Kunst, die Szene in New York und welcher Dreijährige der Künstler der Zukunft werden würde. Eingebildete Säcke, wenig unterhaltsam, eigentlich aus der konservativen Ecke kommend, aber sich mit moderner Kunst selbst in den hippen Himmel der Bohemiens erhebend. Gerne auch mit drei Buchstaben zwischen Vor- und Zunamen, allenfalls drei Semester Kunstgeschichte studiert und mit Papis Kohle ausgestattet. Nein, ich mochte sie nicht. Aber ich hatte sie jetzt fast jeden Abend.
Die Geister, die ich rief - schon wieder Goethe. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es auch nette Leute in der
Kunstszene gibt - ich habe sie nur nicht getroffen. Aber ich tat das ja alles aus Liebe, wobei ich mich insgeheim fragte, wie lange ich dieses Programm durchstehen würde.
Bei Sabrina war’s anders, aber doch ähnlich: Um ihrer neuen Liebe zu imponieren, zog es sie jedes Wochenende auf den Fußballplatz, zusammen mit einem vier Meter langen Schal in den Vereinsfarben seines Lieblingsclubs. Ich erwischte sie ab und zu auch am Telefon: Sonst war sie entweder im Nagelstudio (er stand auf lange Krallen) oder beim Frauenarzt - wegen der permanenten Blasenentzündungen, die sie sich in den Fußballstadien holte. Inzwischen hat sie gelernt und beherrscht die Fußballerfrauenregeln aus dem Effeff: wollene Unterwäsche, zwei Paar Socken und ansonsten Latte halten, Pfeife blasen und Bälle aufpumpen! Da hatte ich ja noch irgendwie Glück mit meinen Galerien.
Sabrinas Freund hat allerdings auch den höchsten Einsatz gezeigt: Sonntags war Fußball - sein Programm - und samstags Ballett - ihr Programm. Sie liebte Ballett. »Giselle«, »Dornröschen«, »Schwanensee«, »Nussknacker«. Aber auch hin und wieder die moderne Variante, bei der nackte, blutverschmierte Körper Schlangentänze vollführen. Diese Abende verlangten ihm besonders viel ab. Und - Sabrina bestand auf eine gewisse Etikette. Seine geliebten Jeans durfte er nicht anziehen, sondern musste mit Schlips und Kragen in die diversen Tanztempel! Neidisch guckte er auf all die anderen, die mit Freizeitkleidung kommen durften. Irgendwie fühlte er sich nicht nur vollkommen deplatziert, sondern auch noch als falsch aufgerüschter Pfau unter lauter Normalos. In England wäre er vermutlich in diesem Aufzug überhaupt nicht ins Theater gekommen. Wirklich! Das müssen Sie mir jetzt glauben: In London gehen Menschen
mit Plastiktüten in die Nachmittagsvorstellungen. Wahrscheinlich wollen die sich da nur ein bisschen aufwärmen …
Keiner weiß so richtig, wie es rauskam, aber irgendwann klärte sich die Not zwischen Sabrina und ihrem Freund. Er täuschte Kopfschmerzen vor, und sie musste mit einer Freundin in die Ballettvorstellung. Und beide waren am Ende glücklicher: er, weil er sie ausgetrickst hatte und zu Hause bleiben konnte - bei Fußball im Fernsehen, den Füßen auf dem Tisch und der Bierflasche in der Hand. Und Sie, weil ihre Freundin genauso viel Spaß an dem bizarren Balzen auf der Bühne hatte wie sie. Und es machte offensichtlich viel mehr Sinn mit jemandem ins Theater zu gehen, der nicht alle 20 Sekunden fragte: Wie lange noch, Schatz? Und auch nicht jedes Mal nach Sinn, Choreographie, Technik und Hintergrund bohrte. Schön auch, wenn man mit jemandem geht, der eine Pause auch als solche versteht und nicht jedes Mal denkt: ach, zu Ende! Endlich! Geschafft! Puh! Nein, Schatz, nur Pause. Dornröschen muss doch erst noch aufwachen!
Am nächsten Sonntag schummelte sie, wenigstens ein bisschen. Ihre Blase zwirbelte schon wieder sehr! Also blieb sie bei einem Liebesfilm im Fernsehen, Füße unter der Decke, Wärmflasche auf dem Bauch und einem schönen Yogi-Tee in der Hand zu Hause.
Er hatte beim Fußball Spaß wie schon lange nicht mehr, weil er nicht jedes Mal die Abseitsregel erklären musste und auch nicht, auf welches Tor »unsere« Mannschaft schießt oder welche Farbe denn diesmal ihre Trikots haben.
Beide hatten in beiden Fällen ein schlechtes Gewissen, weil sie ohne den anderen so ein gutes Gefühl hatten. Es war Zeit für ein Gespräch. Zum Glück war’s ein sehr kurzes. Beide wussten im Grunde sofort, worum es ging. In einer
feierlichen Geste überreichte sie ihm ihren bescheuerten Fanschal (der von der Farbe ohnehin
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