90 Tage auf Bewaehrung
Kinderaugen vor ihr. Nein, er wollte nicht zurück! Er gab ihr einen Stapel Papier - neun DIN-A4-Seiten ausgedruckte SMSen - das ganze Liebesgesäusel, das sie ihm in den Monaten ihrer Beziehung geschickt hatte. Warum? Na ja... er fand sie einfach schön und wollte sie für die Nachwelt aufheben. In seinem Handy ging’s nicht - er musste Platz für die SMSen seiner neuen Freundin machen. Kerstin brach heulend zusammen, und der ganze Schmerz war wieder da.
Eigentlich wollte ich auch alle SMSen von meinem und an meinen Liebsten bewahren. Aber erzählen Sie das mal meinem Temperament. Die Dinger werden sofort nach einem Streit gelöscht. Umbarmherzig und unwiderruflich! Schade.
Ich heirate eine Familie
»Das Schönste an meiner ersten Scheidung war eigentlich, dass ich danach nie nie nie wieder zu meinen Schwiegereltern musste«, sagte Sabrina beim Sushi-Essen, kurz nachdem ich ihr erzählt hatte, dass dieser Samstag der große Tag wäre - ich sollte seine Familie kennen lernen. Kurzfristig war ich abgelenkt von meinen eigenen Plänen. »Was war denn so furchtbar an ihnen, dass dir jetzt noch deine Sushi-Rolle auseinander fällt?« Sabrina: »Wie lange hast du Zeit? Frag mich lieber, was nicht furchtbar war...« Sie erzählte mir den Schwiegereltern-Horrortrip ihrer siebenjährigen Ehe. Jeden Samstagnachmittag war Dienstantritt bei seinen Eltern, »Schwiemu« und »Schwiepa«. Die Bitte, sie Mama und Papa zu nennen, konnte sie nicht erfüllen - es wäre der größte Verrat an ihren eigenen Eltern gewesen.
»Mein unglaublich selbstständiger, erwachsener Ehemann Nummer 1 hatte eine derart merkwürdige Bindung zu seiner Mutter, dass er tatsächlich samstags nicht nur mit mir, sondern auch mit unserer schmutzigen Bettwäsche bei ihr auflief. Nach dem Motto: Mama macht das gerne. Sie hat ja Zeit. Monate später erfuhr ich, dass sie sich die Bettwäsche jedes Mal sehr genau angesehen hat, die Nachbarschaft über deren Zustand informierte, um sich anschließend lautstark zu beschweren, dass immer alles an ihr hängen bliebe. Sie fuhr mir über den Mund, ließ kein gutes Haar an meiner Haushaltsführung und stellte sich permanent immer wieder zwischen
mich und meinen Mann. Sie forderte Konflikte heraus und erwartete, dass er sich immer auf ihre Seite stellte. Ich allein gegen den Rest seiner Familie. Ich hatte überhaupt keine Chance.«
Während ich Sabrina zuhörte, dabei übersprunghandelnd mit beiden Stäbchen in meinem Ingwer rumstocherte, sah ich das Gesicht einer meiner vorangegangenen Schwiegermütter in spe vor mir - Renate! Verwitwet, frustriert, alkoholisiert und Spätgebärende eines einzigen Sohnes. Und den hatte ich abbekommen! Christoph war eigentlich ein netter Kerl, wir haben’s ja dann auch fast ein Jahr miteinander ausgehalten. Was ich zunächst noch putzig, niedlich und einfach doll fand, nämlich das Mutter und Sohn Reihenendhäuschen an Reihenmittelhäuschen wohnten, stellte sich wenig später als Scary-Movie-2-Drehbuchvorlage heraus: nicht selten, dass sie mit 1,8 im Turm im Nachthemd in seinem Garten die Hecke schnitt (selbstverständlich unter größtem Gestöhne), und das nachts um halb drei! Nein, zur vollständigen Kontrolle unseres Lebens hingen überall, an strategisch wichtigen Stellen, ausrangierte Autorückspiegel, die eine Rundumbeobachtung möglich machten. So konnte sie gemütlich in ihrer Küche picheln, dabei eine Stange in zwei Tagen wegquarzen und mit warmen Füßen aktiv an unserem Leben teilnehmen. Ich vermutete auch immer irgendwelche Abhöranlagen, konnte ihr das aber nie beweisen!
Und sie traf ich Jahre später irgendwann an der Kasse eines Supermarktes wieder. Es erstaunte mich, dass sie bei dieser Lebensführung überhaupt so lange lebte, das zähe Luder! Während ich tapfer meine Tüten mit Obst, Müsli und - jahaaa - fünf Tafeln Schokolade füllte, musterte sie mich von oben bis unten. Herrgott, die soll das lassen. Sie stieß einen bedrohlichen Zischlaut durch ihre rot geschminkten Lippen,
grinste angriffslustig zu mir rüber und schenkte mir ein: »Christoph hat schon zwei Kinder!« Ja, super, ich habe einen Hund, gar keine Zeit und Gott sei Dank keines deiner Enkelkinder ausgetragen... Leider riss mir jetzt die Tüte mit dem Obst. Ich hätte es gerne souveräner hingekriegt! Danach habe ich sie nie wieder gesehen, und das ist auch gut so.
Während Sabrina und ich so unseren Gedanken nachhingen, bereicherte Kerstin unsere Runde - drei Kinder von zwei Männern und
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