90 Tage auf Bewaehrung
dann plötzlich vor mir stand, strahlte er übers ganze Gesicht und zeigte auf seine Ausbeute: Vanillequark mit Obst. »Meinst du, wir kriegen das hin, wir Koch-Schwachmaten?«
Wir? Wir? Wir? Dafür reichten jetzt gerade meine Französischkenntnisse nicht mehr. Ich weiß auch nicht, was spießig auf Französisch heißt. Aber unsere Art der Spießigkeit fing an, mir zu gefallen. Ja, er stand mit dem Föhn und der Flasche Bier am Grill. Ja, ich habe die Tischchen gedeckt und war zuständig für die Dekoration. Ja, er hat das Fleisch gebraten, und ja, ich habe den Salat gemacht. Und gemeinsam fühlten wir uns zuständig und bereit für den Nachtisch.
Irgendwie kam mir die Situation ziemlich vertraut vor. Wo hatte ich das schon gesehen? Bei meinen Eltern? Bei den Eltern meiner Eltern? Schön...
Nein, Mama, ich bin nicht schwanger!
»Schwarzwälder Kirsch? Oder Käsekuchen mit Sahne?«
»Ach herrje, wissen Sie was, ich nehm von jedem ein Stückchen!« Vor Vorfreude tropfte mir der Zahn. »Dazu einen Latte macchiato - aber bitte mit Süßstoff! Und eine Cola zum hinterherspülen. Na, Mama, was nimmt du denn? Oder machste gerade mal wieder Diät?«
Ich stand mit meiner Mutter in einem knuffigen Oma-Café. Es war voll. An den winzigen Tischchen Leutchen so um die 70, die Damen mit Hütchen beim Teechen. Die, die keine trugen, präsentierten das weiße Haupthaar, Silber gespült mit dem Stich Lila. Ganz Verrückte trugen blau. Die Luft war rauchgeschwängert, eigentlich konnte man kaum atmen, und reden konnte man auch nicht, weil’s viel zu laut war. Da hier alle schrien, schrien wir mit. Die Kellnerin war blond gefärbt, um die 50, trug pinkfarbenen Nagellack und Gesundheitsschuhe. Klar, bei dem Programm, was die hier so ablaufen musste.
Als der Kuchen zehn Minuten später vor uns stand - ich gerade das erste Stück auf der winzigen Gabel Richtung Mund balanciert -, platzte es aus meiner Mutter raus: »Ich weiß es ganz genau. Du kannst mir nichts vormachen. Ich bin deine Mutter, ich habe dich geboren. Also sag schon … Wann?«
Ich stopfte mir weiter den Kuchen rein, ohne den seltsamen Worten meiner Mutter irgendeine Beachtung zu schenken.
Wie oft hat sie mich schon vorm Altar, mit Brautkleid, Schleier und sogar passendem Mann gesehen.
Jaja, ich weiß, sie will, dass ich endlich mal sesshaft werde, so mit Reihenhäuschen und Garten. Mütter können erst wieder ausatmen, wenn die Töchter tatsächlich unter der Haube sind. Sie wollen dann endlich die Verantwortung an den Schwiegersohn abgeben.
Genug gewickelt, gefüttert, gehätschelt, gekocht, geliebt, gepflegt, Schularbeiten beaufsichtigt, aufs Leben vorbereitet, sich mit der Pubertät rumgeschlagen, Sorgen gemacht, das Studium begleitet, bei Liebeskummer getröstet, Wäsche gewaschen, Behördenkram erledigt, gezahlt. Irgendwann reicht’s dann.
Nicht, dass wir erwachsenen Mädels noch jeden Tag nach Mama schreien würden. Aber Mütter sind halt ihr Leben lang Mütter und kommen auch ungerufen immer wieder auf den Plan.
Da saßen wir beide nun friedlich, und dann kam der nächste Hammer: »Kind, ich hatte erst gedacht, du bist nur so einfach bisschen propperer geworden. Na, nun komm, rück schon raus mit der Sprache. Deine Augen verraten es doch sowieso schon. Du hast nämlich diesen bestimmten seligen Blick...«
»Mama, wir können jetzt noch eine Stunde »Ich sehe was, was du nicht siehst« spielen - wir können die Nummer aber auch abkürzen. Was is?«
»Ich habe mit der Tante Carla schon drüber gesprochen. Du, die ist froh! Die hat auch gesagt: ›Da is se aber uffn letzten Zuch uffjesprungen.‹«<
Ich guckte ratlos. Wieso denn jetzt Tante Carla? Und welcher Zug? Hatte hier irgendjemand vor zu verreisen? »Mama, wenn du mir jetzt nicht sagst, was los ist, mach ich Blubberblasen
mit dem Strohhalm in meiner Cola! Und zwar so, dass dein Stück Torte Schwimmflügel braucht!« Ich wurde trotzig. Da kann ich noch so alt werden, das Kind mit dieser Eigenschaft in mir wird nie erwachsen.
Mama holte tief Luft und riss mir den Strohhalm aus’m Schnabel. »Ich freue mich jetzt schon, wenn du mit deinem Kind hier sitzt und dir so was anhören musst!«
Da kann sie aber noch lange drauf warten. Ich und Kinder! Und genau das sagte ich: »Ich und Kinder?«
Mamas Augen leuchteten, und sie schrie voller Entzücken: »ZWILLINGE!« So, das hatte jetzt auch die Dame da hinten mit dem defekten Hörgerät verstanden. Mutter bestellte sofort einen Fernet Branca -
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