90 Tage auf Bewaehrung
Liebeskummer muss nicht sein. Ich kenne da ein paar magische Hexentricks, die wirken immer bei mir. Hundertprozentige Trefferchance. Hab mir so meinen Piloten wiedergeholt, der schon unwiederbringlich abgeflogen war.« Alles, was frau brauchte, war eine Muschel
mit zwei zusammengehörenden Hälften, einen Zettel, Fotos, Haare von sich und von ihm, Mondlicht, goldene Bänder, ein tiefes Loch und eine lilafarbene Kerze. Und eine verdammt gute Ausrede, sollte man des nächtens beim Buddeln im Park erwischt werden. Ronja hat sich genau an die Anweisungen gehalten - der Typ ist natürlich trotzdem nicht wiedergekommen. Aber die Kerze hat sie heute noch. Es war auch gar nicht einfach, eine im passenden Violett-Ton zu finden …
Im tiefen Innern kann ich immer noch nicht fassen, dass erwachsene Frauen sich mit solcher Pillepalle beschäftigen. Und ernsthaft auch noch daran glauben - wie hilflos muss man sein, zu solchen Mitteln zu greifen, darüber zu reden und sich damit als komplette Idiotin zu outen.
Nun gut. Aber zur Ehrenrettung aller meiner verzweifelten Schwestern im Geiste muss ich mich daran erinnern, dass auch ich rationale Frau mich mal habe verleiten lassen. Als mein Liebster und ich unseren ersten Streit hatten, hab ich ja auch eine Voodoo-Puppe gebastelt. Oh Gott, und dann gab es da noch eine Situation... Da ging’s mir aber auch wirklich sehr, sehr, sehr, sehr schlecht. Ehrlich. Und nur weil ich darin eine letzte Chance gesehen habe, meine Rettung quasi.
Mit einem Foto des Herren, der mich doch seit Monaten glatt übersah, obwohl ich lichterloh vor seinen Augen abfackelte vor lauter Liebe, ging ich zu meinem Termin mit so einer Magierin. Sehr unspektakulär war die Suche nach ihrem Klingenschild in einem Hochhaus in Berlin-Marzahn. Als ich klingelte, schubste sie erst mal zwei Kinder mit Berliner Kodderschnauze aus meinem Gesichtsfeld, lotste mich in die Küche, kochte Kakao, hörte Schlagersender und kratze sich mit ihren viel zu langen schmutzigen Nägeln in
dem viel zu dünnen fettigen Haar. »Nu setzten Se sich mal hin. Ick bin ja gleich da. Watt kann ick denn für Se tun? Packen Se schon mal aus, um watt et hier eijentlich jeht.« Wie, sollte ich jetzt sein Foto auf den Tisch legen, zwischen Butterresten, Fernbedienung und einem vollen Aschenbecher, das Foto, das ich unter solchen Mühen ergattert hatte? So irdisch können Hexen sein. Ich hielt das Foto dann doch lieber in der Hand, bis sie wieder in der Küche erschien. Sie guckte in die Karten und sagte zuversichtlich: »Nee, nee … der ist auf dem Weg zu Ihnen. Ick spüre ditt janz deutlich. Et fehlt nur noch ein kleenet Stück. Der will, braucht aber lediglich einen kleenen Anschubser.« Aha?!
Und wie konnte dieser Anschubser aussehen? »Na, ditt erledige ick denn, Kindchen. Für 300 Euro nehme ick ditt Foto bei Vollmond mit, kletter hier hinterm Haus uffn Berg und schubse dann sozusagen spirituell... Der Herr wiederum wird’ne jewisse Veränderung spüren, sich die nich weiter erklären können - watt eigentlich och ejal is - und wird seiner inneren Stimme (quasi mir!) folgen - direktemang in Ihre Arme rin.«
Und jetzt zeigen Sie mir mal eine Frau, die an diesem Punkt, so kurz vorm Ziel, »nö« sagt. Wenn man schon so bekloppt ist, und den Weg überhaupt dahin gefunden hat, zieht man das auch durch.
Ich hatte nur 150 Euro dabei, die gingen aber als Anzahlung glatt durch.
Auf der Heimfahrt formulierte ich im Geiste schon die Einladungen für unsere Verlobungsfeier. Nach exakt drei Stunden wussten Freundes- und Bekanntenkreis, Nachbarschaft und Kollegium, dass die höhere Macht auf meiner Seite war und sich jetzt endlich um meine Angelegenheiten kümmern würde. Jörg drehte völlig durch. Endlich schien
seine Freundin, die sonst noch nicht mal ein Likörchen trinkt, auch etwas von diesen bunten, höchst illegalen Substanzen zu nehmen.
Und ich? Ich wartete und wartete und wartete. Zwei Wochen später wollte ich die Frau noch mal anrufen, um ihr die fehlenden 150 Euro zu geben - den Anschluss gab es nicht mehr. Sie war verschwunden. Mit meinem Geld, meinen Hoffnungen und SEINEM Bild. Wahrscheinlich in ihrer Brieftasche. Nachdem ich dann etwa ein Jahr später von seinen Hochzeitsplänen mit einer anderen erfuhr, habe ich aufgehört zu warten. Seit diesem Zeitpunkt stehe ich magischen Ritualen mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Trotzdem pflege ich sie irgendwie jeden Sommer aufs Neue, wenn ich mit meinen Freundinnen einmal im Jahr, auf
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